La Cubana
Libretto: Hans-Magnus Enzensberger nach Motiven aus dem Roman »Canción de Rachel« von Miguel Barnet
- Uraufführung:
- New York, 1974 (TV)
- München, 1975 (szenisch)
Ein erfolgreicher Opernkomponist versucht, sein politisches Engagement auf die Bühne zu bringen. Hans Werner Henze verfiel im Verein mit Hans-Magnus Enzensberger auf den Gedanken, die Memoiren einer kubanischen Varietée-Artistin zu einem sozialkritischen Stück zu machen. In der Rahmenhandlung erzählt die Cubana ihrem Dienstmädchen ihre Abenteuer, die aus vollkommener Tristesse ins vermeintliche Arbeiter- und Bauernparadies der Revolutionsregierung Fidel Castros führen.
Enzensberger und Henze wollten dafür »eine neue Form von Musiktheater erfinden«.
... es stellte sich recht bald heraus, daß das Material – die Memoiren von Amalia Vorg, dieser alten kubanischen Vaudeville-Queen, die Miguel Barnet, ein kubanischer Ethnologe aufgeschrieben, mitgeschnitten auf Tonband, zwei Jahre dann in ein Buch verwandelt hat – daß also dieses Material enorme Möglichkeiten enthielt, weit über ein unterhaltendes Vaudeville hinausgehend. Es erzählt nicht nur etwas über die letzten vierzig oder fünfzig Jahre der Geschichte Kubas vor der Befreiung durch Fidel Castro, sondern auch gleichzeitig etwas über die Geschichte der Unterentwicklung eines Landes. Und noch etwas anderes: im Spiegel oder durch den Filter der Mentalität eines Vaudeville-Stars – einer Kabarett-Künstlerin, die glaubt, eine große Künstlerin zu sein – offenbart sich das Verhältnis von Kunst und Wirkung.So sei La Cubana auch zu einem Stück Kunst-Kritik geworden:
Wir stellen die Fragen: Was ist Kunst, welchen Wert hat sie in der Gesellschaft, welchen Stellenwert hat sie da? Was sind Künstler? Wie ist ihr moralischer Habitus, wie ist ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit? In welchem Maße hat die bürgerliche Ideologie der letzten Jahrhunderte die Künstler aufgefordert, sich gesellschaftsfremd oder gesellschaftlich abgesondert zu verhalten?
Die Handlung
In Vor- und Nachspiel sowie in vier Zwischenspielen sehen wir die einstige Varietéekünstlerin Rachel im Gesprächg mit ihrer Zofe: Sie erinnert sich am Tag der Machtübernahme von Fidel Castro im Jahr 1959 an Episoden aus ihrem Leben, die Bilder aus der kubanischen Geschichte heraufbeschwören.
I
Eine Liebesbeziehung mit dem Fabrikantensohn Eusebio im Jahr der zweiten militärischen Intervention der USA in Kuba, 1906 - führt zu dessen Selbstmord.
II
Rachels ist im Rotlichtmileu gelandet. Ihr Freund Yarini wird im Zuge der blutigen Kämpfe rivalisierender kubanischer und französischer Zuhälterbanden getötet, die 1910 Havanna in Atem halten.
III
1912 tingelt mit einem mediokren Wanderzirkus und gerät in die Befreiungskämpfe bewaffneter Farbiger, die geführt vom legendären »Cimarrón« gegen die US-Besatzer kämpfen. Im dritten Interventions-Krieg können die USA die Aufständischen besiegen.
IV
1927 ist Rachel die ungekrönte Königin des Teatro Alhambra in Havanna. Die Verhaftung ihres Geliebten, des linksgerichteten Studenten Federico kann sie nicht verhindern. Unter der Führung des US-Marionette General Gerardo Machado wird das Teatro Alhambra 1934 gescblossen. Rachels Karriere ist damit zu Ende.
V
Der Aufstieg Fulgencio Batistas, der Kubas Präsident wird, führt das Land in eine Militärdiktatur, die 1959 durch Fidel Castro gestürzt werden kann. Rachel bleibt freilich von allen politischen Gedanken unberührt, obwohl auch ihr Privatleben ständig unter deren Einfluß steht. Der »Drecksbrühe Politik« setzt sie ihre eigene Vision von einer paradiesischen Welt, in der nur (Varieté-)Kunst und Liebe regieren.
2019 hat Jobst Liebrecht ein Arrangement der Partitur für Kammer-Ensemble veröffentlicht.