7. Mai 2012
Wettgesang um die Kleopatra
Bei Cecilia Bartolis Salzburger Pfingstfestspielen gerät Händels »Giulio Cesare« szenisch aus dem Ruder, wird aber zum Sängerfest.
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist es her, dass Nikolaus Harnoncourt im Theater an der Wien einen szenischen Versuch mit einer "Originalklang"-Rekonstruktion des »Julius Caesar» gewagt hat. Im Gefolge dieser Pioniertat gehört das Werk, für viele Kommentatoren Händels ambitionierteste Oper, zum Standardrepertoire. Für das Debüt Cecilia Bartolis als Intendantin war dieser »Giulio Cesare in Egitto« das ideale Vehikel.
Eine wahrhaft festspieltaugliche Versammlung von Primadonnen und primi uomini des Barockgesangs, die Bartoli selbst, versteht sich, als ägyptische Königin inmitten - und gleich vier Countertenöre: Da ist man »originalklanglicher« als Händel selbst. Bei der Uraufführung waren «nur» drei Kastraten im Spiel, angeführt von Senesino, dem Popstar der damaligen Zeit, dessen Caesar mit Francesca Cuzzoni die Netrebko, pardon: natürlich die Bartoli jener Ära gegenüberstand.
Um einen Wettstreit der Edelkehlen ging es damals wie heute. Auch in Salzburg wird auf sensationellem Niveau gesungen. Obwohl es die Akustik im umgebauten kleine Festspielhaus den Darstellern womöglich schwerer macht als je zuvor zu brillieren.
Verzückte Liebesseufzer. Andreas Scholl als Caesar hat es nicht leicht, seine zarte, doch ungemein wendige Stimme tragfähig genug erscheinen zu lassen. Doch fesselt er in Momenten wie der unheimlichen, von Händel so zukunftsweisend komponierten Grabesszene angesichts des toten Pompejus. Ganz zuletzt kugelt er mit seiner Kleopatra auf dem Boden herum und bleibt ihr auch vokal nichts schuldig: Die Allegro-Triolen perlen, die eingestreuten Adagio-Seufzer klingen so verzückt, wie sie nur klingen können.
Händels Momentaufnahmen der Befindlichkeit seiner Figuren sind gerade in dieser Partitur so unglaublich fein und raffiniert, dass übertriebene szenische Aktion die Plastizität des Bildes, das hier akustisch entworfen wird, nur irritieren kann. Wovon das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier häufig Gebrauch macht.
Hörbar zum Ärger des Publikums, das, charmiert von der vokalen Brillanz und der entsprechend agilen, einmal springlebendigen, dann wieder melancholisch verschleierten Klangkoloristik Giovanni Antoninis und seines »giardino armonico«, kräftig buhte, als die beiden Herren zum Schlussapplaus erschienen. Christina Fenouillat hat einen Bühnenraum entworfen, in dem alte und neue Ägypten-Klischees sich zum Vexierbild vereinen.
Die Regie fügt noch etliche hinzu, die aus verschiedensten Inszenierungsversuchen - etwa auch des "Giulio Cesare" durch Peter Sellars - schon bekannt sind. Natürlich fährt der siegreiche Kaiser mit einer Limousine vor (Händels Pfingst-Geist griff ein und ließ die Tür klemmen, sodass der Feldherr auf der anderen Seite aussteigen musste). Natürlich wird schon während der Ouverture Nahostkrieg gespielt, samt GI-Pas-de-quatre mit Maschinenpistolen (Choreografie: Beate Vollack). Zuletzt (ein Gruß an Hitlers »Wüstenfuchs«?) fährt ein deutscher Panzer vor, während das Ensemble im fröhlichen Chorgesang versinkt.
Flut der Bilderklischees. Die Bilderflut droht die Musik, so herrlich sie gespielt und gesungen wird, zu erdrücken. Das mag man als Konzentrationsübung betrachten und sich zwingen, den Sehsinn im entscheidenden Moment zu betäuben. Doch wirkt es nicht nur störend, es denunziert Händels Musik, wenn Cornelia ihre Trauer um den getöteten Gemahl in schmerzerfüllte g-Moll-Kantilenen taucht - aber mit der Schnapsflasche in der Hand übers Gräberfeld torkelt. Ehrliche Emotion wird zur b'soffenen G'schicht - wohl nicht im Sinne des Erfinders.
Dabei singt Anne Sofie von Otter berückend schön. Im Finale I vereint sie ihre Stimme mit dem edlen Countertenor Philippe Jarousskys (Sextus) zum butterweich modellierten und betörend harmonischen Duett. Jaroussky ist unter den hier versammelten Stars vielleicht der Primus inter Pares, demonstriert er doch eine Virtuosität der leisen, verhaltenen Töne, zwingt das Publikum, für gehauchte Pianissimi staunend den Atem anzuhalten wie für die Koloratursalven der alles beherrschenden Kleopatra der Bartoli.
Jochen Kowalskis Comeback. Christoph Dumaux als Ptolemäus ist der kräftigste Counter im Bunde, nicht minder koloraturgewandt als die Kollegen. Ruben Drole und Peter Kalman (Achillas und Curius) gelingt es nebstbei, plastische Miniaturdramen um unglücklich Verliebte zu formen. Und Jochen Kowalskis Bühnenpräsenz ist ungebrochen: Für ihn hat man den Nireno in eine Nirena verwandelt. Als hätte Hofmannsthal die einst für einen Kastraten komponierte Partie als Pendant zu den »Hosen«- in eine »Rockrolle« verwandelt.
Das hätte als hintergründiges Spiel mit unserer Wahrnehmung genügt. Der musikalische Triumph hingegen war vollständig.
Eine wahrhaft festspieltaugliche Versammlung von Primadonnen und primi uomini des Barockgesangs, die Bartoli selbst, versteht sich, als ägyptische Königin inmitten - und gleich vier Countertenöre: Da ist man »originalklanglicher« als Händel selbst. Bei der Uraufführung waren «nur» drei Kastraten im Spiel, angeführt von Senesino, dem Popstar der damaligen Zeit, dessen Caesar mit Francesca Cuzzoni die Netrebko, pardon: natürlich die Bartoli jener Ära gegenüberstand.
Um einen Wettstreit der Edelkehlen ging es damals wie heute. Auch in Salzburg wird auf sensationellem Niveau gesungen. Obwohl es die Akustik im umgebauten kleine Festspielhaus den Darstellern womöglich schwerer macht als je zuvor zu brillieren.
Verzückte Liebesseufzer. Andreas Scholl als Caesar hat es nicht leicht, seine zarte, doch ungemein wendige Stimme tragfähig genug erscheinen zu lassen. Doch fesselt er in Momenten wie der unheimlichen, von Händel so zukunftsweisend komponierten Grabesszene angesichts des toten Pompejus. Ganz zuletzt kugelt er mit seiner Kleopatra auf dem Boden herum und bleibt ihr auch vokal nichts schuldig: Die Allegro-Triolen perlen, die eingestreuten Adagio-Seufzer klingen so verzückt, wie sie nur klingen können.
Händels Momentaufnahmen der Befindlichkeit seiner Figuren sind gerade in dieser Partitur so unglaublich fein und raffiniert, dass übertriebene szenische Aktion die Plastizität des Bildes, das hier akustisch entworfen wird, nur irritieren kann. Wovon das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier häufig Gebrauch macht.
Hörbar zum Ärger des Publikums, das, charmiert von der vokalen Brillanz und der entsprechend agilen, einmal springlebendigen, dann wieder melancholisch verschleierten Klangkoloristik Giovanni Antoninis und seines »giardino armonico«, kräftig buhte, als die beiden Herren zum Schlussapplaus erschienen. Christina Fenouillat hat einen Bühnenraum entworfen, in dem alte und neue Ägypten-Klischees sich zum Vexierbild vereinen.
Die Regie fügt noch etliche hinzu, die aus verschiedensten Inszenierungsversuchen - etwa auch des "Giulio Cesare" durch Peter Sellars - schon bekannt sind. Natürlich fährt der siegreiche Kaiser mit einer Limousine vor (Händels Pfingst-Geist griff ein und ließ die Tür klemmen, sodass der Feldherr auf der anderen Seite aussteigen musste). Natürlich wird schon während der Ouverture Nahostkrieg gespielt, samt GI-Pas-de-quatre mit Maschinenpistolen (Choreografie: Beate Vollack). Zuletzt (ein Gruß an Hitlers »Wüstenfuchs«?) fährt ein deutscher Panzer vor, während das Ensemble im fröhlichen Chorgesang versinkt.
Flut der Bilderklischees. Die Bilderflut droht die Musik, so herrlich sie gespielt und gesungen wird, zu erdrücken. Das mag man als Konzentrationsübung betrachten und sich zwingen, den Sehsinn im entscheidenden Moment zu betäuben. Doch wirkt es nicht nur störend, es denunziert Händels Musik, wenn Cornelia ihre Trauer um den getöteten Gemahl in schmerzerfüllte g-Moll-Kantilenen taucht - aber mit der Schnapsflasche in der Hand übers Gräberfeld torkelt. Ehrliche Emotion wird zur b'soffenen G'schicht - wohl nicht im Sinne des Erfinders.
Dabei singt Anne Sofie von Otter berückend schön. Im Finale I vereint sie ihre Stimme mit dem edlen Countertenor Philippe Jarousskys (Sextus) zum butterweich modellierten und betörend harmonischen Duett. Jaroussky ist unter den hier versammelten Stars vielleicht der Primus inter Pares, demonstriert er doch eine Virtuosität der leisen, verhaltenen Töne, zwingt das Publikum, für gehauchte Pianissimi staunend den Atem anzuhalten wie für die Koloratursalven der alles beherrschenden Kleopatra der Bartoli.
Jochen Kowalskis Comeback. Christoph Dumaux als Ptolemäus ist der kräftigste Counter im Bunde, nicht minder koloraturgewandt als die Kollegen. Ruben Drole und Peter Kalman (Achillas und Curius) gelingt es nebstbei, plastische Miniaturdramen um unglücklich Verliebte zu formen. Und Jochen Kowalskis Bühnenpräsenz ist ungebrochen: Für ihn hat man den Nireno in eine Nirena verwandelt. Als hätte Hofmannsthal die einst für einen Kastraten komponierte Partie als Pendant zu den »Hosen«- in eine »Rockrolle« verwandelt.
Das hätte als hintergründiges Spiel mit unserer Wahrnehmung genügt. Der musikalische Triumph hingegen war vollständig.