Orfeo ed Euridice
Christoph W. Gluck
Die zunächst kaum beachtete Initialzündung zur großen Opern-Reform.
Azione teatrale per musica
Libretto: Raniero de' Calzabigi
Uraufführung: Oktober 1762 Wien, Burgtheater.
→ Französische Fassung: Paris 1774
PERSONEN DER HANDLUNG
Orfeo / Orpheus (Alt) – Euridice / Eurydike (Sopran) – Amore / Amor (Sopran)DIE HANDLUNG
Griechenland, in mythischer Zeit.
Erster Akt
Trauer am Grab Eurydikes. Orpheus ist zu
jedem Opfer bereit, könnte er seine Geliebte aus dem Hades zurückholen.
Amor, vom gerührten Jupiter entsandt, verkündet Orpheus den göttlichen Ratschluß: Er darf versuchen, in die Unterwelt vorzudringen. Einzige Bedingung: Orpheus darf sich niemals umwenden, um Eurydike anzusehen, bevor er die Erde wieder erreicht hätte.
Orpheus willigt ein.
Che disse? Che ascoltai?
Düstere Ahnungen befallen den Sänger. Wird Eurydike verstehen?
Zweiter Akt
Furien versperren Orpheus den Weg.
Chi mai dell'Erebo
Sein Gesang besänftigt die Gespenster. Im Elysium weisen ihm die tanzenden Geister der Seligen den Weg zu Eurydike. Er ergreift ihre Hand und zieht sie mit sich, ohne einen Blick auf sie zu werfen.
Dritter Akt
Eurydike kann Orpheus' Handeln nicht begreifend. Auf dem Weg zum Licht zweifelt sie an seiner Liebe.
Che fiero momento
Orpheus kann nicht widerstehen und wendet sich um.
Sogleich sinkt Eurydike wieder tot zu Boden. Orpheus weiht sich selbst dem Tod.
Che farò senza Euridice
Noch einmalerscheint Amor. Erneut verkündet er göttliche Gnade: Die treue Liebe wird belohnt. Eurydike erwacht zu neuem Leben. Mit dem Chor der Hirten und Nymphen besingt man den Triumph der Liebe.
Trionfi Amore
Das Werk
Raniero de Calzabigi gebührt der Dank, die Oper aus ihrer jahrzehntelangen Erstarrung gelöst zu haben. Der Librettist verschmolz zukunftsweisende die Formen der Opera Seria, der in Wien beliebten
Festa teatrale und der Pariser Tragédie lyrique mit den
moderneren Ansätzen, die Traetta und Jommelli gezeigt hatten.
In seinem Text zu Orfeo ed Euridice gibt Calzabigi der Geschichte aus Ovids
Metamorphosen ein Happy End. Vor alle aber erzählt er sie gradlinig und verzichtet sämtliche möglichen Nebenhandlungen, wie sie in den damals üblichen Operntexten Metastasios üblich waren. Nur drei Personen treten auf. Nur der Titelheld hat eine wirklich ausführliche Partie zu singen. Die Arien führen menschliche Leidenschaften in konzentriertester Form vor. Chor und Ballett sind integrale Bestandteile der Handlung, kein Aufputz.
Die Musik
Gluck hatte im Anschluß an spätbarocke Praktiken für den Orpheus noch einen Altkastraten vorgesehen, Gaetano Guadagni. Er bemühte sich aber, der Vorlage entsprechend, um klassizistische Klarheit und war bedacht, die hohe Emotionalität nur durch die vokale Linienführung die harmonische Sprache des Orchesters zu erreichen. Alle üblichen Auszierungen der Opera Seria waren verpönt.
Der Erfolg blieb zunächst aus. Gluck schuf eine Version der Titelpartie für den Soprankastraten Giuseppe Millico. Doch war die Sehnsucht des Publikums nach mehr Wahrhaftigkeit europaweit bereits so stark, daß in Kopenhagen, 1773, ein Tenor den Orpheus sang. 1774 schuf Gluck dann selbst für Paris eine neue Fassung seiner Oper, die noch stärker den reformatorischen Geist betonte.Die Pariser Neufassung
In seiner für Paris neu geschriebenen Partitur verstärkt Gluck das Gewicht der Rezitative durch deren besonnene kompositorische Ausgestaltung.
Mehr und mehr ersetzen orchesterbegleitete »Accompagnati« den nur vom Hammerklavier (oder Cembalo) gestützten Sprechgesang. Die neue Kompositionstechnik ermöglichte fließende Übergänge vom Rezitativ in ariose Passagen. So nähert sich Orfeo mehr und mehr dem Stil der Tragédie lyrique an.
Darüber hinaus übertrug
Gluck in Paris die Altpartie des Orpheus einem französischen Haute-contre, was die Realistik des Geschehens verstärkte. Außerdem reicherte er die Aufgaben des Chors an und schuf damit große Tableaux
Reigen seliger Geister
Finale II mit Tanz der Furien
Erfolgreicher Neustart
Die Premiere der Pariser Version im August 1774 bescherte Gluck einen überwältigenden Erfolg. Als Orphée blieb das Werk über die Revolutionswirren hinaus bis ins Jahr 1800 auf dem Spielplan der Pariser Oper. Jenseits der französischen Grenzen gab es erst durch Franz Liszt in Weimar, 1854, eine Wiederbelebung der Tenor-Fassung.
Hector Berlioz schieb die Pariser Partitur wieder für Alt um. Die gefeierte Pauline Viardot-Garcia sang die Premiere dieser Fassung von 1842 (noch einmal revidiert 1859) in Paris.
Seither wird die Fassung für eine Alt und zwei Sopranstimmen (Eurydike und Amor) weltweit bevorzugt.
Mit Beginn der Originalklang-Bewegung übertrug man die Rolle des Orpheus meist einem
Countertenor. Die starke Einbindung von Chor und Tanz in der Pariser Fassung reizte auch Choreographen: Frederick Ashton brachte Orpheus 1953 in London heraus, Georges Balanchine 1973 in Paris 1973. → John Neumeier schuf eine neue szenische Version 2018.