Die Trojaner

von Hector Berlioz

Wiener Staatsoper 15. Oktober 2018

Jubel an der Staatsoper für eine Rarität von Hector Berlioz. Mit mehr als 20 Solopartien, zum Teil aberwitzig schwer zu singen, eine herkulische Aufgabe.

Ovationen für Joyce DiDonato, die Primadonna des Abends, Jubel auch für das gesamte Ensemble, den Dirigenten, die Regie: Von solchen Erfolgen träumen Intendanten – und offenkundig auch das Publikum. An der Staatsoper wurde die Premiere von Hector Berlioz’ „Les Troyens“ zur glanzvollen Ehrenrettung für ein Werk, das lange als unaufführbar galt.

Mehr als 20 Solopartien, zum Teil aberwitzig schwer zu singen, eine herkulische Aufgabe für den Chor und das Orchester, das den wichtigsten Part spielt, um die fünf Akte zu einer einheitlichen und durchwegs spannenden Erzählung zu binden. Dirigent Alain Altinoglu hatte buchstäblich alle Hände voll zu tun und die philharmonischen Musiker spielten mit aller Farbenpracht auf.

Und Staatsoperndirektor Dominique Meyer durfte zuletzt stolz sein, nur drei Gäste für diesen Abend verpflichten zu müssen, neben der famosen, ungemein ausdruckstarken DiDonato in der Partie der Dido den kraftvollen tenoralen Helden Aeneas von Brandon Jovanovich und einen weiteren der geforderten Tenöre, die ihre Stimme im heiklen Bereich ums hohe C sicher zu führen wissen: Paolo Fanale als Iopas, der das Preislied an die Natur im Palast der Königin zu singen hat.

Triumph des Ensembles

Alle übrigen, zum Teil nicht minder anspruchsvollen Partien konnten aus dem Staatsopern-Ensemble besetzt werden – auf festspielreifem Niveau. Aufhorchen ließ die Mezzosopranistin Szilvia Vörös als Didos schwesterliche Begleiterin Anna, eine Stimme, die imstande ist, sich im Duett dem subtilen Pianogesang der Primadonna anzuschmiegen, dann aber auch den Hiobsbotschaften, die der orgelnde, ausdrucksvoll phrasierende Bass von Jongmin Park zu verkünden hat, Zuversicht und Fröhlichkeit entgegenzusetzen.

Höchste Tenorhöhen erklomm auch noch Benjamin Bruns mit dem Lied des jungen Seemanns am Beginn des letzten Akts. Und Sonderapplaus bekam Monica Bohinec, die im letzte Moment für die erkrankte Anna Caterina Antonacci einsprang und die Kassandra sang, die zweite große Frauenrolle in diesem riesenhaften Stück, voll von dunklen Ahnungen und apokalyptischen Visionen: Bohinec verwandelte sie alle in hochexpressiven Schöngesang.

Chor und Orchester im Zentrum

Eine Hauptrolle spielt an diesem Abend in der ganz unaufdringlichen, die Begebnisse getreulich abbildenden Inszenierung David McVicars der Chor, der sich hie und da zu eindrucksvollen Demonstrationen seiner Durchschlagskraft ballte. Und das Orchester, dem Berlioz, der formal die Konventionen der Grand Opéra mit ihren Einzelnummern und – von der Compagnie brillant absolvierten – Balletteinlagen erfüllt, alle Modernität seiner künstlerischen Visionen anvertraut. Warum die Zeitgenossen diesen Komponisten für verrückt erklärten, lässt sich nicht nur aus der abnormen Länge der Oper erklären, sondern vor allem aus den wahrhaft unerhörten, bis in die Kühnheiten der Musik des 20. Jahrhunderts vorgreifenden Klang- und Farbeffekten. Altinoglu hat sie liebevoll herausgearbeitet, die Musiker absolvieren halbe Klarinettenkonzerte, aber auch unzählige kleine und kleinste Details in allen Registern mit Hingabe – von flatternden illustrativen Holzbläserakzenten über ungewöhnlich agile Blechbläserbrillanz bis zu obskur gemischten Rembrandtfarben der tiefen Streicher steht alles im Dienst der dramatischen Erzählung.

Paradoxerweise erlebt man an diesem Abend anhand eines als vollkommen disparat und uneinheitlich geltenden Werks die Integrationskraft der Anspannung aller künstlerischen Kräfte, die das Wunder Oper ausmachen: Diese Trojaner erlebt man wie aus einem Guss. Eine Sternstunde.

↑DA CAPO