René STAAR

19.6.1992 Kultur

Mein Werk ist ein einziges Fragment"

Der Komponist und Geiger René Staar im Gespräch

Das Gedenkkonzert für Ernst Krenek im Wiener Musikverein im Jahr 1992 bestritt der Komponist und Geiger René Staar mit seinem "Ensemble Wiener Collage". Das war kein Zufall. Denn der Livemitschnitt einer Aufführung von Kreneks postromantischem Tongedicht "Durch die Nacht" war das letzte, was der Komponist vor seinem Tod noch hören durfte.

Staar erzählt: "Die Wiedergabe dieses Stückes hat ihn sehr beeindruckt. Er hat mir daraufhin einen Brief geschrieben, den letzten, den er überhaupt diktiert hat." Kreneks Witwe hat dann den Gedanken geboren, ein Konzert in memoriam ihres Gatten in Wien zu veranstalten. Musikvereins-Chef Angyan hat eingewilligt und Staar freut sich, daß er mit dem Programm einen guten Überblick über das so vielgestaltige Schaffen Kreneks geben kann. "Das Spektrum", erzählt er, wie immer in gepflegt distanziertem Deutsch, "reicht vom spätromantischen Liederzyklus über streng dodekaphonische Kompositionen bis zur aufgelockerten Tonalität der ganz späten Stücke."

Kuriosa seien dabei, berichtet Staar, "etwa ,O lacrymosa', eine Rilke-Vertonung, die insofern einmalig ist, als Krenek den schon schwerkranken Dichter um die Erlaubnis gebeten hat, einige seiner Gedichte vertonen zu dürfen. Rilke hat strikt abgelehnt. Seine Lyrik eigne sich nicht zur Vertonung. Später hat er aber Krenek dann einige Gedichte übersandt, die eigens dafür gedacht waren, in Musik gesetzt zu werden. Rilke hat noch erlebt, daß die Komposition fertiggestellt wurde."

Ren'e Staar, eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten in der österreichischen Komponistenszene, ist sich seiner Sonderstellung durchaus bewußt: "Ich bin ja", kommentiert er, "in der glücklichen Lage, mich selber aufführen zu können."

Neugier für für das Unbekannte

Vielen Komponisten im Lande ginge es viel schlechter. "Wir haben ja kein Forum für musikalische Experimente wie etwa ,IRCAM' in Paris. So weiß man gar nicht, welche enorme Potenz hier im Lande ist." Aus einer alten Musikerfamlilie stammend, hat Staar, seit er 1988 als Sekundgeiger zu den Philharmonikern gekommen ist, noch mehr Gelegenheit, internationale Kontakte zu knüpfen und für die Neue Musik zu verwerten. Schon Staars Vater war Geiger, seine Brüder sind viel länger als er selbst - Mitglieder des Wiener Meisterorchesters.

René Staar hat sich eine Zeitlang abgesondert. "Ich war sieben Jahre lang freischaffend tätig. Aus dieser Zeit stammen noch einige Ideen, die ich heute noch verfolge." Seine grundlegenden Orientierungen hat er während des Studiums bei so prägenden Persönlichkeiten wie dem Dirigierlehrer Hans Swarowsky und den Komponisten Alfred Uhl und Roman Haubenstock-Ramati ausgerichtet.

"Haubenstock hat mir einmal etwas gesagt, was ich bis heute nicht vergessen kann: ,Jede Note, jede Phrase, die Sie schreiben, sollte anders sein als alles, was Sie schon kennen.'" Das sei, bekennt Ren'e Staar, zuerst so etwas wie ein Schock gewesen. Eine Terz sei doch, so hätte er dem Lehrer entgegnet, immer eine Terz. Und dann hätte er sich gleich selber korrigieren müssen: "Natürlich ist eine Terz bei Mozart etwas ganz anderes als eine Terz bei Strawinsky." Eine ähnliche "Neugier für das Unbekannte" hätte bei ihm außer Haubenstock nur noch der große Geiger Nathan Milstein geweckt, bei dem er Meisterkurse besucht hat.

"Das war aufregend zu sehen: Wie arbeitet jemand, der schon reif ist. Milstein konnte mit ganz kleinen Bemerkungen viel mitteilen. Vor allem das: Daß etwas wichtiger sein kann als die perfekte technische Beherrschung eines Stückes." Von solchen Persönlichkeiten geformt, entwickelte sich Ren'e Staar, der schon mit fünf Jahren Noten geschrieben hatte - "eine Symphonie. Aber ich bin später draufgekommen, daß es nur immer eine einzige Stimme war und in allen anderen nur Pausen" - zu dem eigenständigen Musiker, der er heute ist.

Oft hindert ihn die mangelnde Zeit daran, ein Stück, so wie er es sich vorstellt, auszuarbeiten. "Für eine Aufführung habe ich unlängst einmal, als ich erkannte, daß ich nicht rechtzeitig zum Uraufführungsdatum fertig werden würde, einfach dort aufgehört, wo ich gerade angelangt war und einen Konzertschluß angefügt." Dergleichen passiert ihm in der einen oder anderen Form des öfteren.

"Mein Werk ist eigentlich ein einziges Fragment. Aber vielleicht sind Notlösungen manchmal gar nicht so schlecht. Sein musikdramatisches Stück "Minotaurus I" ebenfalls Teil eines größer geplanten Komplexes - kommt demnächst anläßlich des Kurz-Opern-Abends im Jugendstiltheater zur Uraufführung.

DA CAPO