Isang Yun
9. November 1995
Das Schicksal wollte es, daß die Uraufführung der letzten Komposition des Koreaners bei »Wien modern« zu dessen Tombeau wurde.
»Piri« für Solo-Oboe stand, von Heinz Holliger atemberaubend realisiert, als Würdigung am Beginn. Musik, die charakteristisch für Yuns Konzentration auf den einzelnen Ton ist, auf Klanginseln, die - oft in höchsten Höhen des spielbaren Tonbereichs angesiedelt - zu äußerster Intensität anwachsen können. Holliger präsentierte danach mit Patrick Demenga zwei neue »Ost-West"-Miniaturen, in denen das Cello mit weitausgreifenden Phrasen den Okzident, die Oboe mit isolierten Klängen den Orient repräsentiert.
Dann Yuns Schwanengesang, ein Quartett für Oboe und drei Streicher, von Holliger mit Christian Altenburger, Kim Kashkashian und Demenga so konzentriert dargestellt, daß eine Zugabe erklatscht wurde: Der bohrende, ahnungsvoll still in sich kreisende Mittelsatz wurde wiederholt; und entfaltete beim Wiederhören allen Zauber. Fernöstliche Meditationskunst in Töne verwandelt: Das macht in Zeiten wie diesen auch in Mitteleuropa Effekt.
Koreanische Folter und Schönberg
Isang Yun, Exot unter den zeitgenössischen Komponisten, in seiner Heimat politisch mißliebiger »Spion«, starb im Alter von 78 Jahren in Berlin.
Nachruf vom 6. November 1995
Yun war nicht nur wegen der exotischen Farben der Musik, die er als freien Balanceakt zwischen westlichem »Post-Schönbergianismus« und östlicher Folklore-Tradition ansiedelte, ein Botschafter aus fernen Welten. Auch Signale von Terror und politischer Unterdrückung sandte er aus seiner koreanischen Heimat nach Europa: Wegen angeblicher Sympathien für den kommunistischen Norden wurde er nach Seoul verschleppt und inhaftiert. »Ich muß meine Steuererklärung in der BRD machen«, war der einzige Hilferuf, den er aus Angst vor Folterungen einem deutschen Besucher anzuvertrauen wagte. Man verstand - und ließ ihn fortan ungeschoren in Deutschland unterrichten. Isang Yuns Musik erzählt auch von den seelischen Irritationen eines dieserart gebrandmarkten Menschenlebens. Wobei die »außermusikalische« Inspiration bei Yun tiefer im Unterbewußtsein ansetzte. Er nannte auch Kindheitserinnerungen, halb vergessene Assoziationen zu einst gehörten und empfundenen Lauten, Klängen, Düften als Energiequellen für sein Schaffen.
Asiatische Geistigkeit verschmolz dank gediegener musikhistorischer Ausbildung mit »westlichen« Techniken zu einem Personalstil, in dem strukturell formbildende Einzelereignisse (Töne, Akkorde) von mannigfach verästelten Klangwogen umspielt wurden, was der Musik oft zauberische, farbenreiche Atmosphäre verleiht. Luise Rinser verfaßte die erste Biographie des Komponisten, der mit Opern und Symphonien seine Position als vieldiskutierter Vertreter der Avantgarde erkämpfte - in faszinierender Unbeugsamkeit zwischen Yin und Yang und der »Neuen Wiener Schule«, zwischen Berliner Lehrstuhl und dem Polizeigefängnis von Seoul.