Schlafmittels Bruder

21. Mai 1996
Herbert Willi startete des untauglichen Versuch, aus einem Buch-Bestseller eine Oper zu machen.

Schlafes Bruder, eine Koproduktion der Zürcher Oper mit den Wiener Festwochen, lähmte trotz objektiv meßbarer Kürze im Theater an der Wien.

Knapp eineinhalb Stunden dauert "Schlafes Bruder", die Veroperung des Roman-Bestsellers von Robert Schneider.

Diese Zeitdauer ist auf der Uhr mühelos feststellbar.

Was die Uhr nicht anzeigt: Subjektiv ist "Schlafes Bruder" einer der längsten, langweiligsten Opernabende, die überhaupt möglich sind.

Komponist Herbert Willi reduziert seine Einfälle bis zur strohigen Dürre. Was den Hörer in Schlafes Bruder musikalisch erwartet, sind zwei oder drei bis zur Unerträglichkeit ausgewalzte Klangbilder: Wiederholt macht sich die eingangs beschworene, vom Streichorchester entfaltete kühle Fläche aus Tönen der Durtonleiter breit.

Sie steht offenkundig für die Klangvisionen des geplagten Helden Elias Alder und könnte, geschickt verarbeitet, sogar entsprechend suggestiven Effekt machen.

Willi aber verzichtet auf spürbare Entwicklung und Entfaltung, tritt sogar dort auf der Stelle, wo Elias (Roberto Sacca) Liebe zu Elsbeth (Irene Friedli) empfindet, wo der ob seiner Seltsamkeit und scheinbaren "Besessenheit" ausgestoßene Held die Chance hätte, aus dem Chaos, das ihn umgibt und offenbar auch durchdringt, in "menschliche", unverkrampfte Bereiche vorzudringen.

Enervierend spannungslos

Die Musik läßt in ihrer Statik nichts von solchem Seelenpotential ahnen. Und Cesare Lievis Inszenierung paßt sich ihr an. Die Personen, grell kostümiert (Florence von Gerkan) und geschminkt, agieren zwar oft narrenhausmäßig, in abgestandener »Tanztheater«-Manier. Das enerviert aber eher, als daß es Spannung aufkommen ließe.

Vor den entscheidenden Momenten kapituliert der Komponist vollends: Die Todesszene des Elias an der Seite des besorgten Freundes (Jacob Will) verkümmert in Wiederholungen des ewiggleichen Tones. Im Finale schweigt die Musik überhaupt, und Udo Samel rezitiert einen wirren Text.

Hier soll Musik zur Literatur werden, verrät das Programmheft. Diese "Verwandlung" wäre allerdings gelungen: Willis Fadesse geht bruchlos in Schneiders absurde Sprechkantate über. Oder, wie es bei Carl Orff so schön heißt: »Wo nichts ist, hat noch keiner was gefunden.«

Leistungen der Interpreten zu beurteilen, ist in diesem Zusammenhang schlicht unmöglich. Roberto Sacca, ein sehr guter Tenor, ist angehalten, ein paar Mal sein Falsett-Register zu nützen und verfügt, wiewohl die Hauptfigur, über gar keine Chance, sich mit einprägsamen vokalen Linien zu profilieren.

Das nämliche gilt in noch verstärktem Maße für Saccas Kollegen - und für das von Manfred Honeck geleitete Zürcher Opernorchester. Die Musiker haben außer den eingangs geschilderten Klangflächen kaum Gestaltungsmöglichkeiten.

Ein paar Akkorde, die in heftiger Unregelmäßigkeit repetiert werden (in der wirkungslos verpuffenden Gewaltszene), ein paar versprengte Einzeltöne - vielleicht kann man das mehr oder weniger intensiv exekutieren.

Packendes Musiktheater wird daraus nie und nimmer.

↑DA CAPO