Erich Urbanner
* 1936
Lieber komponieren als Mozart dirigieren
Erich Urbanner über die Situation des Musikschaffenden heute
»Die Presse« vom 4. August 1992
»Ich kann nicht, wie manche Kollegen, am Fließband schreiben, um eine Uraufführung nach der anderen herauszubringen, obwohl das vielleicht gar nicht so schwer wäre, weil man dann sozusagen in eine Eurphorie hineinkommt und wirklich am laufenden Band produzieren kann. Ich ziehe eher den steinigen Weg vor.« So erklärt sich Erich Urbanner, österreichischer Komponist aus Tirol, der seit Jahren an der Wiener Musikhochschule auch Komponisten-Nachwuchs heranzieht.
Der »steinige Weg«, das heißt: akribische Arbeit, wohlüberlegte Schritte, lieber fünf Dinge nicht, das sechste dafür aber ganz akkurat formulieren. Überlegt, mehrfach überdacht, verlief Urbanners Komponistenkarriere von Anfang an. Fürs Komponieren hat er sich »entschieden«, nach reiflicher Reflexion. Zunächst sah es nämlich eher so aus, als ob aus dem seit 1955 in Wien beheimateten talentierten Musiker ein Mitglied der Wiener Staatsoper würde.
Seine Studien absolvierte er alle mit Auszeichnung. Bei Swarowsky dirigieren, bei Schiske Komposition. Sofort wurde er in den Lehrkörper der Akademie aufgenommen. Und da er im Partiturspielen »sehr versiert« war, sind ihm die Studienleiter der Wiener Staatsoper bald "nachgerannt", wie er sich heute erinnert: »Die wollten mich ganz dringend als Korrepetitor und auch als Dirigent engagieren. Also hatte ich mich zu entscheiden. Dann hab' ich nachgedacht: Was ist g'scheiter?«
Ergebnis: Das Komponieren war stärker. Und nicht nur, weil es heute so anekdotisch hübsch klingt: »Ich konnte den Rosenkavalier auswendig und die Salome, ich konnte den Wozzeck vom Blatt spielen. Aber ich wollte die Meistersinger nicht lernen. Bei diesem Stück hatte ich eine Sperre, es war mein Schreckbild.«
So haben ihn also die Nürnberger Zünfte ins Komponistendasein gedrängt. Und die Sache mit dem Dirigieren: »Ich würde mir selber leid tun, wenn ich mich hinstellen und Mozart dirigieren müßte.« Das Zuhören aber, das hat Erich Urbanner viel fürs musikalische Leben mitgegeben. "Ich habe", erinnert er sich, »in dieser Zeit den größten Dirigenten aus nächster Nähe zugeschaut. Das war für das Komponieren wichtig.«
So kann er heute von sich behaupten "praxisnah" zu schreiben, "für die Möglichkeiten eines mittleren Theaters." Nach der Uraufführung seiner bisher einzigen Oper waren denn auch alle begeistert: Die Kritik, das Publikum und die Ausführenden, die Urbanners Stück - eine Seltenheit - gleich durch eine ganze Saison im Repertoire führten.
Opern verkaufen, ein großes Problem
Freilich: »Das Problem ist nach wie vor: Wie verkauft man eine Oper nach der Uraufführung weiter?« Praxisnähe hin, Uraufführungs-Erfolg her. Urbanner erinnert an Cerhas Erfolgsstück »Baal«: »Das hat ungefähr zehn Jahre gedauert, bis das wieder aufgenommen worden ist, geschweige denn, daß so ein Stück woanders nachgespielt wird.«
Da ist er also, das weiß er, nicht allein auf der Welt, verlassen von den Managern dieser Erde, die sich, so ist Urbanner überzeugt, »viel intensiver für die Neue Musik engagieren müßten.«
Immerhin: Urbanner ist erfolgreich, was das Publikum anlangt. Das ist ihm auch wichtig: «Ich bin der Letzte, der irgendwas schreibt, um zu gefallen. Aber irgend eine Reaktion will man natürlich provozieren. Auch, und gerade weil das Publikum ja heute so übersättigt ist und es schwer ist, die Leute irgendwie zu begeistern.» Das Schlimmste sei, »wenn die Leute ein neues Stück teilnahmslos über sich ergehen lassen.»
Gottlob sei das bei seinen Werken kaum je vorgekommen. Wenn etwa das Alban Berg Quartett sein drittes Streichquartett in einem der berüchtigten "Sandwich-Programme" - Neue Musik zwischen Mozart und Schubert - angeboten hat, war das, so erinnert sich Urbanner gern, "immer ein Erfolg." Insofern sei die Sache mit dem "Sandwich" eine gute: "Das rüttelt die Leut' auf."
Aber nicht zu sehr. Friedrich Cerha hat einmal zu Urbanner gesagt: "Sie sind für alle tragbar" - für die Avantgardisten ebenso wie für die traditionsverbundenenen Kollegen. Urbanner: «Ob das, was ich mache, einem gerade aktuellen Stil entspricht oder nicht, das war für mich nie wichtig. Das Produkt muß irgendwie ansprechen.» Auch seinen Schülern versucht er beizubringen, sich «von den Dingen, von der Eigendynamik, die eine Musik bekommen kann, auch treiben zu lassen. Die kalkulierten Stücke sind ja samt und sonders zu lang. Man muß auch mit seiner Spontaneität umzugehen lernen. Man muß Systeme in Frage stellen. Nur so kann etwas Eigenwilliges entstehen. »
So hört sich das Komponieren bei Urbanner hin und wieder auch auf: «Manchmal ist man unsicher, wo das Ende von einem Stück ist. Wie die Schlußidee ausschauen könnte. Und dann merkt man: Das war schon der Schluß. Dann ist es gut so. So wirken dann auch lange Stücke nie zu lang.»
Erich Urbanners knapp achtminütiges Drittes Streichquartett hat das Alban Berg Quartett uraufgeführt und für Teldec aufgenommen.