Die Gemeinheiten des Theodor Adorno
Ein gescheiterter Komponist als Schulmeister
Als die Studenten ernst machten, ließ er die Polizei rufen. Aber im Vordenken war der Theoretiker Theodor W. Adorno stets für die radikalste, die hundertprozentige Auslegung des Freiheitsgedankens. Seine Gedanken taugten wie die weniger anderer Philosophen zur Untermauerung der Achtundsechziger-Revolten. So schien es zumindest. Der 65-jährige Universitätsprofessor war freilich befremdet, als er sah, wohin die Nutzanwendung seiner Visionen führte.
Im tiefsten Innern war Adorno jedenfalls Musiker. Oder besser: Der Traum davon, ein großer Musiker zu sein, beherrschte sein Denken. Und weil er produktiv ganz offenkundig nicht imstande war, Musik zu schaffen, die seinem immensen Anspruch genügte, hörte er Mitte der Vierzigerjahre auf, Kompositionen zu Papier zu bringen, sondern verlegte sich ganz aufs Theoretisieren. Vielleicht sind die musikalischen Schriften seine dauerhaftesten.
Jedenfalls haben sie zwei Generationen von weniger begabten Musikwissenschaftlern Material in Gestalt von Gedankensplittern, Worthülsen und einer unsäglich verworrenen Phraseologie an die Hand gegeben, um doktrinär die Hervorbringungen jener Komponistengeneration zu taxieren, die sich bemühte, nach den diktatorischen Entartungen der "Kunstbetrachtung" wieder Geist und Fantasie in der Musik walten zu lassen.
Er berichtet von Wiener Kollegen, die daheim "im Carl-Orff-Stil komponierten", im Zug zu den von Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez dominierten Ferienkursen von Darmstadt rasch Zwölftonstücke aufs Papier warfen, um zu den Seminaren überhaupt zugelassen zu werden. Solchem Ungeist hat Theodor Adorno Vorschub geleistet, paradoxerweise indem er zeitlebens für die Freiheit votierte.
Vor drastischen Überzeichnungen, aber auch Contradictiones scheute er dabei nicht zurück. Griff Strawinsky auf klassische oder barocke Formen zurück, galt er als rückschrittlich, schrieb Schönberg einen Sonatensatz, der auf jegliche tonale Organisation, also auf eine Grundvoraussetzung des Sonatenprinzips, verzichtete, so galt das gleich als "Sonate an sich". Vor allem die Namen Hindemith und Sibelius sind mit Adornos Verdikten untrennbar verbunden. Ersteren scheute sich Adorno nicht, in gefährliche Nähe zur Nazi-Ideologie zu rücken, obwohl dieser Ende der Dreißigerjahre aus Deutschland emigrieren musste, weil seine Musik in seiner Heimat verboten wurde.
Die "Glosse" gehört zu den echten Gemeinheiten der Musikgeschichtsschreibung und stellt den Komponisten als eine Art ungebildeten, wenig talentierten, sagen wir freundlich: komponierenden Naturburschen dar, dessen Symphonien in den Augen des strengen Kritikers nichts als "Konfigurationen des Banalen und des Absurden" darstellten.
Nun "brütet er jahrelang über der Achten Symphonie, als ob es die Neunte wäre", lautet das ätzende Bonmot für einen, der in Wahrheit eine genuine, neue, tatsächlich aus der Freiheit geborene Musiksprache entwickelt hat, gleichzeitig aber an den Widersprüchen und Unmöglichkeiten der Moderne so sehr litt, dass er für sich realisierte, was Adorno selbst, Jahre nach Sibelius' Tod, als Ausweg aus dem Dilemma der leidigen Stildiskussionen benannte: Ein Komponist anno 1964 müsse "die Möglichkeit des Verstummens ins Auge fassen".
Im tiefsten Innern war Adorno jedenfalls Musiker. Oder besser: Der Traum davon, ein großer Musiker zu sein, beherrschte sein Denken. Und weil er produktiv ganz offenkundig nicht imstande war, Musik zu schaffen, die seinem immensen Anspruch genügte, hörte er Mitte der Vierzigerjahre auf, Kompositionen zu Papier zu bringen, sondern verlegte sich ganz aufs Theoretisieren. Vielleicht sind die musikalischen Schriften seine dauerhaftesten.
Jedenfalls haben sie zwei Generationen von weniger begabten Musikwissenschaftlern Material in Gestalt von Gedankensplittern, Worthülsen und einer unsäglich verworrenen Phraseologie an die Hand gegeben, um doktrinär die Hervorbringungen jener Komponistengeneration zu taxieren, die sich bemühte, nach den diktatorischen Entartungen der "Kunstbetrachtung" wieder Geist und Fantasie in der Musik walten zu lassen.
Räderwerk des Mainstreams
Was da nach 1945 geschah, war nicht viel weniger als eine Art intellektueller Gegenreformation, die alles unter ihrem wortgewaltigen Argumentationsstrom zu zermalmen drohte, was einen anderen als den von ihr gewiesenen Weg in die Zukunft einzuschlagen suchte. Hans Werner Henze beschreibt in seinen Erinnerungen, wie man versuchte, ihn und seinesgleichen, eben dem Terror der nationalsozialistischen Kulturpolitik entronnen, dem Räderwerk eines einheitlichen Avantgarde-Mainstreams einzugliedern.Er berichtet von Wiener Kollegen, die daheim "im Carl-Orff-Stil komponierten", im Zug zu den von Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez dominierten Ferienkursen von Darmstadt rasch Zwölftonstücke aufs Papier warfen, um zu den Seminaren überhaupt zugelassen zu werden. Solchem Ungeist hat Theodor Adorno Vorschub geleistet, paradoxerweise indem er zeitlebens für die Freiheit votierte.
Strawinsky, der Feind
Seine musiktheoretischen Volten gerieten oft atemberaubend. Als Parteigänger Arnold Schönbergs und kurzzeitiger Schüler Alban Bergs verteidigte er jede Emanation der Wiener Schule, um im Gegenzug Komponisten wie Igor Strawinsky oder Paul Hindemith in langen Streitschriften und mit umständlichsten dialektischen Erklärungsprozessen zu reaktionären, also den Fortschritt gefährdenden Unpersonen zu erklären.Vor drastischen Überzeichnungen, aber auch Contradictiones scheute er dabei nicht zurück. Griff Strawinsky auf klassische oder barocke Formen zurück, galt er als rückschrittlich, schrieb Schönberg einen Sonatensatz, der auf jegliche tonale Organisation, also auf eine Grundvoraussetzung des Sonatenprinzips, verzichtete, so galt das gleich als "Sonate an sich". Vor allem die Namen Hindemith und Sibelius sind mit Adornos Verdikten untrennbar verbunden. Ersteren scheute sich Adorno nicht, in gefährliche Nähe zur Nazi-Ideologie zu rücken, obwohl dieser Ende der Dreißigerjahre aus Deutschland emigrieren musste, weil seine Musik in seiner Heimat verboten wurde.
Glosse über Sibelius
Den großen Finnen bekämpfte Adorno wiederum mit einem Pamphlet namens "Glosse über Sibelius", für das er sich auch Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung nicht genierte und es in seine gesammelten Werke aufnahm.Die "Glosse" gehört zu den echten Gemeinheiten der Musikgeschichtsschreibung und stellt den Komponisten als eine Art ungebildeten, wenig talentierten, sagen wir freundlich: komponierenden Naturburschen dar, dessen Symphonien in den Augen des strengen Kritikers nichts als "Konfigurationen des Banalen und des Absurden" darstellten.
Nun "brütet er jahrelang über der Achten Symphonie, als ob es die Neunte wäre", lautet das ätzende Bonmot für einen, der in Wahrheit eine genuine, neue, tatsächlich aus der Freiheit geborene Musiksprache entwickelt hat, gleichzeitig aber an den Widersprüchen und Unmöglichkeiten der Moderne so sehr litt, dass er für sich realisierte, was Adorno selbst, Jahre nach Sibelius' Tod, als Ausweg aus dem Dilemma der leidigen Stildiskussionen benannte: Ein Komponist anno 1964 müsse "die Möglichkeit des Verstummens ins Auge fassen".