Peteris Vasks

* 1946

Stillen Widerstand übte der lettische Komponist Peteris Vasks mit seiner Musik. 1946 als Sohn eines baptistischen Pastors geboren, erlebte er früh die Verfolgung gläubiger Christen und Andersdenkender in der Sowjetunion. Den Zwangsmaßnahmen setzte Vasks seine Musik gegenüber, poetische KLangprozesse, meist aus der Still geboren und nach kurzem Keimen und Blühen dorthin wieder zurücksinkend. Zwar spielt die (religiöse) Chormusik in Vasks Schaffen eine zentrale Rolle - doch bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems setzte er auf die geheimen Botschaften der Instrumentalmusik - wo keine Worte im Spiel sind, haben die Zensoren verloren:

Der Gesang ist in meiner Musik das Ideal, ist aber meistens ein instrumentaler Gesang. In kommunistischen Zeiten war alles sehr streng kontrolliert, doch es ist unmöglich, instrumentale Musik zu kontrollieren. Komponieren war meine Freiheit. Alle Poeten und Künstler waren in dieser schrecklichen Zeit Kämpfer gegen diese Macht. Das war normal, und in der Musik war es einfacher, geschah es in Symbolen – aber die Leute haben es verstanden.

Über den Zweck seines Schaffens war sich der tief gläubige Künstler nie im unklaren:

Die meisten Menschen haben heute keinen Glauben, keine Liebe und keine Ideale mehr. Die geistige Dimension geht verloren. Ich will der Seele Nahrung geben. Das predige ich in meinen Werken.

Doch hat die kommunistische Diktatur seine Arbeit zunächst extrem erschwert. Vasks hatte Kontrabaß studiert und nach dem Militärdienst in der sowjetischen Armee in einigen lettischen und litauischen Orchestern musiziert. Er durfte zwar Musikstunden geben, aber erst nach dem Zusammenbruch der Diktatur, 1989, erhielt er eine Position als Kompositionsprofessor ab der Emīls Dārziņš-Musikschule in Riga.

Als Zeit-Protokolle versteht Vasks seine drei Symphonien.

1. Symphonie »Stimmen« (1991) für Streichorchester
2. Symphonie (1998/99) und
3. Symphonie (2005) für großes Orchester

Alle drei spiegeln in Klängen die politischen Ereignisse in den baltischen Staaten vor und nach der »Öffnung« von 1989 - zur Charakterisierung von Angst und Bedrängnis scheut der Komponist nicht zurück vor avantgardistischen Experimenten mit Cluster-Harmonik und aleatorisch-improvisatorichen Elementen. Doch stehen die aufwühlenden, zerfahren-expressionistischen Passagen immer neben ruhigen Klangflächen, Bläsermotiven, die an den Gesang vo Vögeln erinnern und ausgedehnten Feldern in Dur- und (meist) Moll-Tonarten, die sich oft lange Zeit nicht vom Grundakkord wegbewegen.

Musik für Gidon Kremer

Die Erste Symphonie steht am Beginn einer Reihe von Kompositionen, in denen Vasks ausschließlich für Streichinstrumente orchestriert. Die künstlerische Verbindung zum Geiger Gidon Kremer, der in jener Zeit das Werk Vasks weltweit propagierte, inspirierte zu einigen Kompositionen, darunter die beiden Violinkonzerte.

Das Konzert Nr. 1 »Fernes Licht« brachte Kremer 1997 zur Uraufführung. Vasks spricht hier von der Vision einer »idealen Welt«, die sich in Feldern von schönen Klängen über vier, die durch große Solokadenzen voneinander getrennten »Andante-« und »Cantabile-«Sätze immer weiter ausbreitet.

Das Violinkonzert Nr. 2 (2006) trägt den Titel »Meditation«, es ist Kremer gewidmet und erzählt von einem »einsamen Engel, der sorgenvoll, aber auch voll Hoffnung auf die Welt herabschaut. Vasks charakterisiert ihn mit einem einzigen, ununterbrochen über flirrende Klangflächen des Streichorchesters gewölbten Melodiebogen für die Solovioline.

Gloria

Bemerkenswerterweise hat Vasks auch in späteren Werken gern auf Texte verzichtet, obwohl sie in liturgischen Zusammenhängen denkbar gewesen wären: Im Herbst 2020 kam die Orchesterfassung seines Gloria zur Uraufführung, ein Stück, das ursprünglich für Chor und Orgel gesetzt war und insofern atypisch für sein Schaffen ist, als es in einer affirmativen D-Dur-Apotheose endet, erreicht nach ekstatischen Momenten, in denen Chor und Orchester den Lobpreis Gottes anstimmen - ohne dazu Worte nötig zu haben: Der Chor benügt sich summend und singend mit den Buchstaben M, U und A.

Wie in allen seinen Werken vertraut Vasks auch hier auf die Kraft der althergebrachten Tonalität, nutzt sie in mutig reduzierter Form: Im Gloria antwortet der Chor jeweils ruhig und sanft auf die majestätischen Orchesterhymnen in kraftvoll-archaischem d-Moll. Im strahlenden D-Dur-Finale wird das Forte-Fortissimo dann in einem auskomponierten Crescendo erreicht: Immer mehr Instrumentalstimmen mischen sich in den anschwellenden Chorgesang.

Mein Herr und mein Gott

Ganz typisch für den Verlauf der meisten Werke dieses Komponisten ist der Aufbau des für Chor und Streichorchester gesetzten Mein Herr und Gott nach einem Gebet des Schweizer Asketen und Mystikers Niklaus von Flue. Der Text ringt in drei Zeilen, die jeweils mit der Anrufung »Mein Herr und mein Gott« beginnen um die Nähe zu seinem Schöpfer. Vasks setzt die Rahmen-Verse in meditativem Pianissimo, führt die Klänge aber im Mittelteil - »gib alles mir, was mich befördert zu Dir« einer ekstatischen Steigerung zu zu einem dynamischen Höhepunkt. Einer Generalpause folgt, wiederum pianissimo in ungetrübt-stillem C-Dur die Schluß-Bitte »nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir«.

↑DA CAPO

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