Meditative Italianità aus Südtirol

Gespräch mit Hubert Stuppner

18. Jänner 1995


Hubert Stuppner, Südtirols bekanntester zeitgenössischer Komponist und musikalischer Multifunktionär, der jüngst den Würdigungspreis für Musik des Wiener Unterrichtsministeriums erhielt, im Gespräch.

Ob das alles nicht ein bißchen nach Resignation klinge, frage ich Hubert Stuppner im Verlauf unserer Unterhaltung einmal, nachdem er eloquent über die Unmöglichkeit, heute noch wirklich "Neue Musik" zu komponieren, referiert hatte: "Resignation?", fragt er zurück, und gibt ebenso knapp die Antwort: "Absolut!" Das klingt aus seinem Mund allerdings keineswegs larmoyant, sondern ebenso wie eine nüchterne Bestandsaufnahme wie seine zuvor akribisch ausformulierten "Endzeitberichte" in Sachen Avantgarde.

Stuppner ist ein Künstler, der sich offenkundig präzis Rechenschaft gibt über seinen Standort, die künstlerische Umwelt, die Zeit, in der er lebt und es unternommen hat, allen widrigen Umständen zum Trotz doch Komponist zu sein.

"Mein Musikbegriff", faßt er seine Theorien zur artistischen Selbstbestimmung zusammen, "ist ein absolut nostalgischer. Oft denkt man sich heute doch auch bei irgend einem neuen Stück: Das klingt ja wie... Einem Stück von mir hat einmal ein Kritiker bestätigt, es klinge wie Musik von Helmut Lachenmann. Dabei hatte ich damals noch nicht ein einziges Stück von Lachenmann gehört."

Dennoch sei diese Assoziation gewiß nicht falsch gewesen und auch nicht zufällig: "Lachenmann", so Stuppner weiter, "das war sicher einer der wichtigen Bezugspunkte in den siebziger Jahren. Die jungen Komponisten waren fasziniert davon. Musik, am Rande des Klanges. So etwas wie komponierte Stille hat mich natürlich auch fasziniert."

"Aber man mußte zurück zum Klang. Die Linie der Musica negativa ist am Ende. Und da tritt die Frage auf: Was passiert, wenn es plötzlich nicht mehr ,nicht klingen' darf?" Stuppner wirft seine Thesen, seine rhetorischen Fragen in den Raum wie ein souveräner Lehrmeister, der sein Weltbild nach allen Richtungen hin gefestigt hat, der gelernt hat, sich im scheinbar unendlichen Raum der zeitgenössischen Kunst- und Musik-Ästhetik sicher zu bewegen, weil er alle Pfade, alle Verirrungen, den attraktiven "Mainstream", wie auch die Sackgassen und toten Winkel erforscht hat und sich davon Rechenschaft ablegen kann.

Das ist typisch für ihn, weil er sich kraft seines Intellekts überall zurecht findet. Als ebenso perfekt deutsch wie italienisch parlierender Komponist hat er es auch geschafft, sich in Südtirol zwischen den Sprachgemeinschaften zu etablieren, ohne seine Individualität zu verlieren und sich auf eine Seite ziehen zu lassen. So sorgt er als Direktor des Bozener Konservatoriums für Ausgleich, ist gesuchter Mitorganisator bei Südtiroler Festivals wie jenem Gustav Mahler gewidmeten in Toblach, richtet alljährlich den riesigen Busoni-Klavierwettbewerb aus; und findet daneben auch noch Zeit zum Philosophieren und Komponieren.

Sein Schaffen hat er, getreu der Erkenntnis, daß "der Begriff ,unerhört' sinnlos geworden ist", in jenem Niemandsland angesiedelt, das seiner Ansicht nach der heutigen Musik einzig zukommt: "Denken Sie an Wien modern", sagt er, "da erfahren Sie regelmäßig, daß die zwanziger Jahre viel moderner waren als unsere Zeit. Oder Cage: ein Menschenalter entfernt und bis heute nicht überboten".

Heute sei eben alles, was sich einem Komponisten biete, "aus zweiter Hand", meint Stuppner und zieht als Schaffender seine Konsequenzen daraus. So verwandelt er in Ekstasis für Streicher Wagners Tristan-Harmonien in einen drei Viertelstunden tönenden, verzehrenden, ewig gleichen, ewig in sich changierenden Klangkristall, der, "in einer einzigen, durchlaufenden Aufnahmesitzung mit dem Gustav Mahler Orchester" auf CD gebannt, nicht nur dank seiner Namensgleichheit mit einer gefährlichen neuen Droge, sondern wohl auch auf Grund seiner meditativen Wirkung in Italien allsogleich die Hitparaden stürmte.

Im übrigen schreibt er gerade ein Buch über die Themen, die er jedem interessierten Gegenüber so wortreich auseinanderzulegen weiß. Das dürfte auch erfolgreich werden. Wer läse nicht gern Texte von einem, der weiß, warum er zu resignieren hat; und der damit gut zu leben gelernt hat?

↑DA CAPO