Flammen
Eine „Don Juan“-Oper von Erwin Schulhoff (1932)
Iris Vermillion in der Rolle des Todes auf der CD-Ersteinspielung (Decca) - und im Theater an der Wien
Am Anfang war das Ich.
Dann das Es.
Und das Überich erst!
Lieber Himmel, da hat sich die Menschheit etwas eingebrockt, als sie alle Dämme brechen ließ, um den Kaiser wie den Lieben Gott gute Männer sein zu lassen.
9. August 2006
Die Sigmund-Freud-Generation
Nichts klärt uns über die Befindlichkeit der Sigmund-Freud-Generation besser auf als die Kunst der Ära zwischen 1900 und 1933, ehe die Politik - wie zuvor schon in der sowjetischen Diktatur - auch in Deutschland die ästhetischen Koordinatensysteme diktierte.Beobachtet man in Zeiten, wie die unsre eine ist, die diversen sexuellen, religiösen und sonstigen Wirrnisse, von denen die damalige Menschheit offenbar fasziniert war, fühlt man sich, wie man im Kabarett so schön sang, »apres«.
Sex im Kloster, Nekrophilie, alles eins.
Tabus kennen wir nicht mehr; jedenfalls nicht in dieser Hinsicht.
Zwischen Schönberg und Lehár
Das Interesse an einem Werk wie Flammen, gedichtet von Max Brod frei nach Karel Josef Benes, komponiert von dem 1942 von den Nationalsozialisten ermordeten Erwin Schulhoff, ist denn auch vorrangig musikhistorischer Natur. Es gab mehr zwischen Schönberg und Lehár als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.Erwin Schulhoff war ein Meister im Sammeln unterschiedlichster Elemente aus den Musterkatalogen des Im- wie des Expressionismus. Er hatte auch ein Herz für die heraufdämmernde Neue Sachlichkeit, ohne deshalb Allvater Wagner zu verleugnen.
Seine Flammen, exzellent instrumentiert mit allem Klingklang von Harfe, Glocke und Celesta, das jeglichen alterierten Nonenakkord wie ein Feuerwerk schillern und glitzern läßt, tönen mehr nach Schreker als nach Hindemith - auch wenn das einleitende Flötensolo beinahe den keusch-distanzierten Ton der »Cardillac«-Musik atmet. Bald greift Schulhoff jedoch in den vollen nachwagnerschen Farbtopf. Doch unterscheidet sich seine Musik in einem wichtigen Punkt von der Schrekers: Sie wabert nicht richtungslos. Als professionieller Jazzer wußte Schulhoff auch nach minutenlangen harmonischen Parallelverschiebungen noch den rettenden fis-Moll-Hafen anzusteuern; so abgründig es auch wogt im Orchester, der Hörer verliert die Orientierung nicht.
Tongemälde wie flutende Sturzbäche
Zumal dann nicht, wenn das RSO Wien unter Bertrand de Billy mit so viel Klangsinn und Engagement aufspielt wie diesmal. Da geraten die einmal ätherisch schwebenden, dann wieder wie Sturzbäche flutenden Tongemälde zu aufregenden Vorfahren abstrakter Klangkompositionen der sechziger Jahre. Endlich hört man, wo diese herstammen - auf Schönberg, den vermeintlich Einzigen, lassen sie sich ja nicht zurückführen. In die andere historische Richtung knüpft Schulhoff selbst die Fäden, wenn er seinen Don Juan samt der Tödin, seine einzig wahre Geliebte, die ihn nicht sterben läßt, in direkten Kontakt zu Mozarts Giovanni bringt: Die Oktaven und chromatischen Läufe des Steinernen Gastes klingen hier, als wären sie durchs symphonische Fegefeuer eines Bruckner-Adagios gegangen. Im übrigen hört man Debussy und seinen Dialog zwischen Wind und Meer, oder tonale Balanceakte a la Skrjabin - und man erfährt, daß das RSO mit seinem Chefdirigenten alle diese Stile auch beherrscht. Tags zuvor hatte man noch Mozart musiziert, die Moderne hat man ohnehin im Griff - besser kann man für Schulhoffs Eklektizismus nicht vorbereitet sein. Zu Recht galt der Jubel vor allem den Musikern und de Billy. Sie trugen die Hauptlast in dem symphonisch durchkomponierten Werk.Auch Regisseur Keith Warner ist aber zu loben. Er schickt Don Juan, den mit Kraft und hellem Timbre furchtlos singenden Raymond Vere, auf eine Seelenwanderung durch poetische Bilder (Es Devlin) und umschifft dabei mit Geschmack alle Peinlichkeits-Klippen des Sujets.
Stephanie Friede versucht mit durchschlagskräftigem Sopran den Helden zu verführen. Als Nonne, Margarethe, Donna Anna gelingt es ihr nicht, den Mann von seiner Todes-Obsession abzubringen: Iris Vermillion siegt mit schauerlich-schönen Mezzo-Tönen.
Umkreist von sechs Frauen-Schatten unterschiedlichen Vokal-Charakters und quickem Commedia-dell-Arte-Personal landet Juan zuletzt wieder am Anfang. Ewig gleich bleibt diese Geschichte - hätte man sie (vor allem im ersten Akt) kräftig gekürzt und pausenlos durchgespielt, aus dem aufschlußreichen wäre vielleicht ein großer Abend geworden.