Wolfgang Rihms DIONYSOS
Das Auftragswerk der Salzburger Festspiele 2010 handelt nicht vom griechischen Gott, sondern vom deutschen Philosophen Nietzsche.
Lachen steht am Beginn. Alles wächst aus ihm heraus. Es ist kein homerisches Gelächter, denn darüber war die Person, um die es geht, längst hinaus. Nicht das Lachen der Götter, sondern das Lachen des befreiten Menschen, des "Übermenschen" hat er "heilig gesprochen": Friedrich Nietzsche. Nicht zum ersten Mal wird er zur Opernfigur. Doch während er in Giuseppe Sinopolis "Lou Salome" leibhaftig auf der Bühne erscheint, als Figur wie Mozarts Bassa Selim, nimmt man ihm diesmal den Namen.
"N." heißt die Partie, die Wolfgang Rihm dem Dichter-Philosophen in seinem jüngsten Bühnenwerk zugedacht hat. Ein Buchstabe nur, und doch steht er für "Nietzsche", dessen späte "Dionysos-Dithyramben" dem Komponisten als Vorlage gedient haben. Oder besser: als Inspirationsquelle.
Denn zu "Dionysos" gibt es kein Libretto im klassischen Sinne. Gelacht wird anfangs, es ist das Lachen, das Ariadne in ihrer "Klage" dem Dichter-Verehrer entgegenschleudert: "Mich willst du? Mich? Mich - ganz?"
Es sind die verzweifelten, verklausulierten Liebesgeständnisse Friedrich Nietzsches an Cosima Wagner. Und doch wieder nicht. Nichts war ausgesprochen in dieser unerwiderten Leidenschaft des Philosophen, der sich selbst im Wahn gern Dionysos nannte.
Nichts wird wirklich konkret ausgesprochen bei Rihm, der Fragmente mit solch sprachlicher Sogwirkung vereint - und in mannigfacher Brechung und Echowirkung in Musik setzt.
Rihm als "dionysischer" Komponist
Wobei auch dieses Bild des "In-Musik-Setzens" schon wieder falsch ist. Denn Rihm geht wohl auch diesmal nicht vom Wort aus, sondern nützt Nietzsches Sätze, Phrasen, Worte als musikalische Bausteine seiner Komposition. Die scheint - man kann das vor der Uraufführung bereits dem Klavierauszug entnehmen - ihre Eigendynamik aus sich heraus entfaltet zu haben, wie bei diesem Komponisten gewohnt.
Unvergesslich sind mir Begegnungen mit dem "Jungen Wilden" Rihm Anfang der Achtzigerjahre, als er die geradezu naturhaften Prozesse seines Schaffens erläutert hat. Ich glaube, es war das Doppelkonzert, "La musique creuse le ciel", für das er unentwegt neue Anfänge vor schon existierende Passagen setzte. Was da war, hätte das jeweils verlangt: "Da hab ich noch 'nen Anfang gemacht und noch 'nen Anfang . . ."
Aus Rihm bricht, so scheint es, die Musik heraus, bahnt sich ihren Weg. So hat er glaubwürdig versichert, noch im vergangenen Dezember keine Ahnung gehabt zu haben, was aus dem Kompositionsauftrag der Salzburger Festspiele denn werden würde. Nur das Nietzsche/Dionysos-Thema stand fest.
Die Attitüde des genialen Vulkans, der seine Musik herausschleudert wie Lava, erinnert in gewisser Weise an Friedrich Nietzsches Postulate von der wahren Identität der Musik als etwas "Vorbewusstes". Die Schriften des Philosophen sind voll von Anmerkungen über den dionysischen Ursprungscharakter der Klänge, die er in konsequenter Anknüpfung an Gedanken Schopenhauers gegen die apollinische bildende Kunst und die Architektur setzt.
In der "Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" zitiert Nietzsche Schiller, der den Beginn seines Schaffensaktes als "Empfindung ohne bestimmten und klaren Gegenstand" beschreibt. Der Gegenstand, so Schiller, "bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher, auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee."
Den Seinen gibt's Apollo im Schlaf
Dem hohen Zeugen für die Urkraft der Musik setzt Nietzsche das poetische Bild des griechischen Lyrikers Archilochos entgegen, im dionysischen Schaffensrausch entschlummert und im Schlaf von Apollo mit dem Lorbeer berührt: "Die dionysisch-musikalische Verzauberung des Schläfers", so Nietzsche in euphorischer Dialektik, "sprüht jetzt gleichsam Bilderfunken um sich, lyrische Gedichte, die in ihrer höchsten Entfaltung Tragödien und dramatische Dithyramben heißen." Vereinigung der widerstrebenden Gottheiten: "Dionysus redet die Sprache des Apollo, Apollo aber schließlich die Sprache Dionysos: womit das höchste Ziel der Tragödie und der Kunst überhaupt erreicht ist." Ein Ziel, das, so Nietzsche, schon das antike Griechenland auf dem Höhepunkt seiner Kultur aus dem Sinn verloren hat.
Wolfgang Rihm gebiert nun "aus dem Geiste der Musik" seine Theaterwerke, die notwendigerweise nichts mit normalen Handlungen zu tun haben, sondern dem Zuschauer vielfältige Assoziationsmöglichkeiten bieten: im Fall des "Dionysos" zu Nietzsches Ideenwelt, zu seiner Biografie und seiner Sprache. Deja-vu-Erlebnisse reichen sogar bis hin zu jenen grausamen Begebnissen, die in Turin den Ausbruch des Wahnsinns angekündigt haben, den Zusammenbruch des Philosophen angesichts eines Pferdes, das von seinem Kutscher gepeitscht wurde.
In träumerischem Eklektizismus verschmilzt Nietzsche/Dionysos, der maßlose, zuletzt noch mit dem armen Marsyas, dem bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wurde, weil die Musen sein Flötenspiel weniger hoch bewerteten als die Lyrenklänge des Apollo. Die Niederlage bleibt freilich so unbestimmt wie alles in diesem Assoziationstheater. "Dionysos" verklingt nach einem gewaltigen Orchestertableau über Glockengeläute mit einer Erinnerung an die Stimme "Ariadnes".
"N." heißt die Partie, die Wolfgang Rihm dem Dichter-Philosophen in seinem jüngsten Bühnenwerk zugedacht hat. Ein Buchstabe nur, und doch steht er für "Nietzsche", dessen späte "Dionysos-Dithyramben" dem Komponisten als Vorlage gedient haben. Oder besser: als Inspirationsquelle.
Denn zu "Dionysos" gibt es kein Libretto im klassischen Sinne. Gelacht wird anfangs, es ist das Lachen, das Ariadne in ihrer "Klage" dem Dichter-Verehrer entgegenschleudert: "Mich willst du? Mich? Mich - ganz?"
Es sind die verzweifelten, verklausulierten Liebesgeständnisse Friedrich Nietzsches an Cosima Wagner. Und doch wieder nicht. Nichts war ausgesprochen in dieser unerwiderten Leidenschaft des Philosophen, der sich selbst im Wahn gern Dionysos nannte.
Nichts wird wirklich konkret ausgesprochen bei Rihm, der Fragmente mit solch sprachlicher Sogwirkung vereint - und in mannigfacher Brechung und Echowirkung in Musik setzt.
Rihm als "dionysischer" Komponist
Wobei auch dieses Bild des "In-Musik-Setzens" schon wieder falsch ist. Denn Rihm geht wohl auch diesmal nicht vom Wort aus, sondern nützt Nietzsches Sätze, Phrasen, Worte als musikalische Bausteine seiner Komposition. Die scheint - man kann das vor der Uraufführung bereits dem Klavierauszug entnehmen - ihre Eigendynamik aus sich heraus entfaltet zu haben, wie bei diesem Komponisten gewohnt.
Unvergesslich sind mir Begegnungen mit dem "Jungen Wilden" Rihm Anfang der Achtzigerjahre, als er die geradezu naturhaften Prozesse seines Schaffens erläutert hat. Ich glaube, es war das Doppelkonzert, "La musique creuse le ciel", für das er unentwegt neue Anfänge vor schon existierende Passagen setzte. Was da war, hätte das jeweils verlangt: "Da hab ich noch 'nen Anfang gemacht und noch 'nen Anfang . . ."
Aus Rihm bricht, so scheint es, die Musik heraus, bahnt sich ihren Weg. So hat er glaubwürdig versichert, noch im vergangenen Dezember keine Ahnung gehabt zu haben, was aus dem Kompositionsauftrag der Salzburger Festspiele denn werden würde. Nur das Nietzsche/Dionysos-Thema stand fest.
Die Attitüde des genialen Vulkans, der seine Musik herausschleudert wie Lava, erinnert in gewisser Weise an Friedrich Nietzsches Postulate von der wahren Identität der Musik als etwas "Vorbewusstes". Die Schriften des Philosophen sind voll von Anmerkungen über den dionysischen Ursprungscharakter der Klänge, die er in konsequenter Anknüpfung an Gedanken Schopenhauers gegen die apollinische bildende Kunst und die Architektur setzt.
In der "Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" zitiert Nietzsche Schiller, der den Beginn seines Schaffensaktes als "Empfindung ohne bestimmten und klaren Gegenstand" beschreibt. Der Gegenstand, so Schiller, "bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher, auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee."
Den Seinen gibt's Apollo im Schlaf
Dem hohen Zeugen für die Urkraft der Musik setzt Nietzsche das poetische Bild des griechischen Lyrikers Archilochos entgegen, im dionysischen Schaffensrausch entschlummert und im Schlaf von Apollo mit dem Lorbeer berührt: "Die dionysisch-musikalische Verzauberung des Schläfers", so Nietzsche in euphorischer Dialektik, "sprüht jetzt gleichsam Bilderfunken um sich, lyrische Gedichte, die in ihrer höchsten Entfaltung Tragödien und dramatische Dithyramben heißen." Vereinigung der widerstrebenden Gottheiten: "Dionysus redet die Sprache des Apollo, Apollo aber schließlich die Sprache Dionysos: womit das höchste Ziel der Tragödie und der Kunst überhaupt erreicht ist." Ein Ziel, das, so Nietzsche, schon das antike Griechenland auf dem Höhepunkt seiner Kultur aus dem Sinn verloren hat.
Wolfgang Rihm gebiert nun "aus dem Geiste der Musik" seine Theaterwerke, die notwendigerweise nichts mit normalen Handlungen zu tun haben, sondern dem Zuschauer vielfältige Assoziationsmöglichkeiten bieten: im Fall des "Dionysos" zu Nietzsches Ideenwelt, zu seiner Biografie und seiner Sprache. Deja-vu-Erlebnisse reichen sogar bis hin zu jenen grausamen Begebnissen, die in Turin den Ausbruch des Wahnsinns angekündigt haben, den Zusammenbruch des Philosophen angesichts eines Pferdes, das von seinem Kutscher gepeitscht wurde.
In träumerischem Eklektizismus verschmilzt Nietzsche/Dionysos, der maßlose, zuletzt noch mit dem armen Marsyas, dem bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wurde, weil die Musen sein Flötenspiel weniger hoch bewerteten als die Lyrenklänge des Apollo. Die Niederlage bleibt freilich so unbestimmt wie alles in diesem Assoziationstheater. "Dionysos" verklingt nach einem gewaltigen Orchestertableau über Glockengeläute mit einer Erinnerung an die Stimme "Ariadnes".