Klang-Tsunami gegen Mailüfterl

Zum Tod des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki, der vom führenden Meister der Avantgarde zum Ideengeber der musikalischen Postmoderne wurde.

30. März 2020
Pole mit Leib und Seele war er. Er blieb in seiner Heimat und wusste sich mit den kommunistischen Machthabern zu arrangieren – und hatte dennoch nicht darauf verzichtet, vorwiegend geistliche Texte zu vertonen, biblische Psalmen, die Geschichte von Jakobs Traum oder eine Passionsmusik nach Lukas.

Er war ein musikalischer Avantgardist, dessen Klangexperimente vielen Kollegen im Westen als Inspirationsquelle dienten. Andererseits wandte er sich Ende der Sechzigerjahre wieder ungeniert der Dur-Moll-Tonalität zu und verhöhnte damit alle damals noch sakrosankten ästhetischen Fortschrittsdoktrinen. Die Kollegen spuckten Gift und Galle. Doch das Publikum stellte die Ohren auf: So klang Neue Musik?

Kurz gesagt: Aus Krzysztof Penderecki wurde man nicht schlau. Er schien gegen Vereinnahmungsversuche ebenso immun wie gegen den stilistischen Gesinnungsterror der Adorno-Schule. Letzterem schienen nur seine allerersten Stücke zu gehorchen, die ihm die Türen zu den Foren der sogenannten Neuen Musik öffneten.

Hans Rosbaud dirigierte 1960 in Donaueschingen die Uraufführung von „Anaklasis“. Das Wort benennt auch das Phänomen der Spektralzerlegung des Lichts und zerspragelt förmlich den Klang eines 42-stimmigen Streichorchesters, bei dem – von Schlagzeug- und teils verfremdeten Klavierklängen vorangetrieben – jeder einzelne Spieler seine oft nur in minimalen Abständen von den übrigen Stimmen verschobenen Aufgaben zu erledigen hat. Normal auf den Saiten gestrichen werden die Geigen da am allerwenigsten.

Das Ergebnis sind Lautmalereien. Deren dynamische Wellenbewegung evozieren Naturbilder und haben jedenfalls nichts mit althergebracht klassischen, gar romantischen Vorstellungen musikalischer Kunstwerke zu tun. Diese neue Art von Klang-Kontrapunktik, wie sie zur nämlichen Zeit etwa auch Friedrich Cerha oder Györg Ligeti, jeder auf seine Weise, ausprobierten, beschäftigte Penderecki in den frühen Sechzigerjahren noch in etlichen anderen Werken. Auch Chorsänger hatten sich für seine Stücke in Vierteltönen und eng zusammenliegenden Klangtrauben zu üben. Dass dergleichen dank der eminenten Bildhaftigkeit der tönenden Ergebnisse für Filmsoundtracks nutzbar gemacht werden konnte, wurde bald erkannt. Manches Werk des längst zum geachteten Kompositionsprofessor in Krakau avancierten Krzysztof Penderecki verstärkte die (dann meist gruselige) Hochspannung in Streifen wie „Shining“ oder „The Exorcist“.

Effektvolle Wirkung stellte sich auch auf der Opernbühne ein, sobald die dramaturgische Notwendigkeit den Einsatz extremer akustischer Mittel gebot. Etwa im Falle der Veroperung von Aldous Huxleys „Teufel von Loudun“ mit ihren expliziten Gewalt- und Folterszenen.

Die Ausdruckskraft von Pendereckis Musik sollte sich freilich nicht nur auf das Brutale, das Sinistre beschränken. Der Meister der innovativen Klangerzeugung konnte auch anders. Die Vorkämpfer der Avantgarde traf ein Werk wie „Paradise Lost“ wie ein Schock. In der Opernversion von John Miltons Gedicht, das schon Joseph Haydn als Quelle für seine „Schöpfung“ diente, wandelten Adam und Eva plötzlich in reinem E-Dur durch den Garten Eden, von wohlig-sicheren Kontrabassfundamenten getragen.

Ab dann war der polnische Meister Liebkind der internationalen Intendanten, die ihm Aufträge erteilten, deren Weltpremieren von berühmtesten Interpreten in den bedeutendsten Aufführungsstätten musiziert wurden – Wiens Musikverein erlebte die Uraufführung eines eigens für diesen Zweck geschriebenen Sextetts mit Meistersolisten wie Mstislaw Rostropowitsch. Die Salzburger Festspiele bestellten eine Oper und bekamen (noch in der Ära Karajan) „Die schwarze Maske“, die sich gegen die „Teufel von Loudun“ ausnahm wie ein Mailüfterl im Vergleich zu einem Tsunami.

Die geplante Uraufführung eines neuen Musiktheaterwerks für die Wiener Staatsoper kam im Vorjahr wegen der Erkrankung des Komponisten nicht mehr zustande.

Krzysztof Penderecki, der am Sonntagmorgen 86-jährig in Krakau gestorben ist, war einer der Geburtshelfer für die radikalen Klangvisionen der Musik nach 1945. Er stand aber auch am Beginn der heute sogenannten Postmoderne, die das Publikum mit den ästhetischen Zeitläuften so recht und schlecht wieder versöhnte. Als die Zeitgenossen meinten, da sei ein Abtrünniger jäh in eine Sackgasse abgebogen, befand er sich in Wahrheit auf der Zielgeraden.





↑DA CAPO