Mayako Kubo

Zur Uraufführung von »Rashomon«

1. Oktoeber 1996

Endlich eine spielbare, aufregende neue Oper:
»Rashomon«, als Kurosawa-Film von stupendem Erfolg, ist zur Oper geworden. Der Vergewaltigungs-Thriller könnte auch im neuen Genre erfolgreich sein.


Mayako Kubo hat für den steirischen herbst eine Oper komponiert, die im Grazer Opernhaus ein bewegtes Premierenpublikum fand. Endlich eine neue Oper, die Lust auf ein Wiederhören macht und der zuzutrauen ist, daß sie Eingang in die Spielpläne der großen Opernhäuser finden kann. Das liegt an der offenkundigen »Theaterpranke« der Komponistin, die auch ihre eigene Textautorin ist. Wobei ihr sprachliches Geschick nicht mit ihrer musikalischen Gestaltungsfähigkeit mithält. Das Gespür für den Aufbau wirksamer szenischer Entwicklungen, für die Gewichtung von Aktion und emotioneller »Innenschau« ist jedoch beachtlich. Das Libretto gibt der Regie Gelegenheit, atemberaubende Tableaus zu erstellen, suggeriert chorische Wirkungen von großer Intensität und subtile, intime monologische Situationen, in denen hervorragende Sänger die Chance haben, vokales Potential und Ausdruckskraft effektvoll zu entfalten.

Dergleichen kann von wenigen Hervorbringungen der jüngsten Opernvergangenheit behauptet werden. Es hat übrigens auch die Produzenten der Uraufführung in Graz nicht sonderlich inspiriert.

Gegen alle Regie effektvoll

Regisseur Lin Hwai-min hat im Bühnenbild von Ming Cho Lee (eine symmetrische Verdoppelung des Logenrunds als "Gerichtssaal") nur unbeholfen inszeniert und kaum eine der von Libretto und Musik so plastisch gebotenen Chancen genützt. Dennoch: Kubos Dramaturgie ist stark genug, um sich auch gegen eine untaugliche Produktion durchzusetzen. Die Geschichte von der Vergewaltigung der schönen Masago durch den Räuber Tajomaru, die darauf folgende Verwirrung über die Frage, wer Masagos Ehemann Takehito nun wirklich getötet hat, diese fesselnde theatralische Psycho-Analyse von Schuldzuweisung, Selbstbezichtigung, Sprengung des Sittenkodex und Beziehungsrätsel entfaltet sich zwingend.

Die Musik ist von faszinierender Vielgestaltigkeit, kennt verzehrende melodische Verschlingung (geradezu "puccinesk" im Duett Masago/Tajomaru) ebenso wie harte, grell instrumentierte, zündend rhythmisierte Klänge, bedrohliche Schlagzeugorgien wie - in der Vergewaltigungsszene - schaurig-schöne, ätherisch tönende Akkordketten. So formen sich auch erstaunliche klingende Gegenbilder zur Handlung. Platte »Unterlegung«, musikalische Verdoppelung - ein Kardinalfehler vieler neuerer Musiktheaterversuche - findet nirgendwo statt. Das hält das Hörerinteresse den ganzen Abend lang wach.

Und es böte dem Orchester (diesmal bemüht unter Stefan Lanos Leitung) und den Sängern dankbarste Selbstdarstellungs-Möglichkeiten. Vor allem George Gray als selbstbewußter, von der Schönheit seines Opfer vollständig übertölpelter Räuber Tajomaru machte von dem Angebot auf beeindruckende Weise Gebrauch. Die Masago von Eirian Davies ließ zumindest ahnen, wieviel Expressionsgewalt in der nahezu unbegleiteten, von verzehrenden Melismen erfüllten Arie am Beginn des zweiten Aktes stecken könnte. Die übrigen, der Chor sowie Manuel von Senden und Konstantin Sfiris als Gemahl und Richter vor allen andern, schlugen sich wacker und ernteten jenen Beifall, der das Werk vielleicht bald in über die Grenzen von Graz hinaus die Welt begleiten wird.



↑DA CAPO