Roberto Gerhard

1896 - 1970

Roberto Gerhard wurde als Robert Gerhard i Ottenwaelder in der Nähe von Tarragona geboren und fühlte sich lebenslang als Katalane. Der Vater stammte aus der Schweiz, die Mutter war Elsässerin.
Studiert hat er bei Enrique Granados (Klavier) und dessen Lehrer Felip Pedrell, bei dem auch Isaac Albéniz und Manuel de Falla sich den letzten Schliff geholt hatten. Nach dem Tod Pedrells, ging Gerhard nach Berlin in die Kompositionsklasse Arnold Schönbergs.

1928, zurück in Barcelona, wurde er zu einer der musikalischen Integrationsfiguren des katalanischen Kulturlebens, befreundet mit Joan Miró und Pablo Casals und ein Motor für avantgardistische Konzerte: Sein Lehrer Schönberg und dessen Schüler Anton von Webern kamen auf Gerhards Einladung nach Barcelona, nicht nur anläßlich des von Gerhard organisierten Festivals für Neue Musik, 1936. Bei dieser Gelegenheit erklang - posthum - das Violinkonzert von Alban Berg zum erstenmal.

Stil

Gerhard interessierte sich nicht nur brennend für die musikalische Avantgarde, sondern auch für die Volksmusik seiner Heimat. Die seltsame Kombination aus folkloristischen melodischen Elementen und avancierter Harmonik, die nicht selten auf Schönbergs Zwölftonmethode aufbaut, ist charakteristisch für seinen kompositorischen Stil, der dem Ohr immer wieder tonale Haltepunkte sichert.

So verschmelzen etwa im Finale seiner Oper Die Dueña (1949, aber erst 1992 szenisch realisiert) dissonante Harmonien mit unverwechselbar spanischer Melodik.

Der ehrgeizige Versuch, avancierte kompositorische Mittel für eine spritzige Komödie zu verwenden, mußte in englischer Sprache als BBC-Produktion in London erstmals einstudiert werden und wurde daher zunächst als Rundfunkoper uraufgeführt.

Die Dueña
Als Einführung zur radiophonen Uraufführung der Dueña hielt Gerhard einen Vortrag, in dem er bemerkenswerte Parallelen zwischen der Kultur seiner Heimat und dem Stil des englischen Textdichter aus dem XVII. Jahrhundert erläuterte:
Es ist wahr, daß Sheridan sich nicht um ein spanisches Lokalkolorit bemüht hat. Das Stück in Sevilla anzusiedeln ensprach für ihn vermutlich der Bühnenkonvention . . . Für mich hingegen ist Sevilla mit vielen Assoziationen verbunden: Charakter, Atmosphäre, das gesellschaftliches Klima dieser Stadt, Reichtum und Eleganz dicht neben Bettlern, Zigeunern und sinistren Gestalten; raffinierteste Kultiviertheit und urwüchsige Kraft; Leichtsinn und quälender Pessimismus leben hier Seite an Seite; alter Aberglaube verschmilzt mit tiefer Frömmigkeit – das war die Qualle meiner Musik. Sheridans Sevilla hat in mir lebhafte Vorstellungen von dieser Stadt im XVIII. geweckt, in der Laienbrüder, in Mönchskutten gehüllt, nachts ihr »Memento mori« anstimmten . . .
Fasziniert war Gerhard von Sheridans Sprache, einem Englisch, das ihn an den Humor und Witz der Menschen aus Andalusien erinnerte.
Sheridans Figurenwirkten darum auf mich überzeugend als Andalusier


Richard B. Sheridans Text diente auch Sergej Prokofieff als Vorlage für seine Verlobung im Kloster Die Handlung der beiden Opern ist nahezu identisch. - -


Gerhard lebte als entschiedener Parteigänger der spanischen Republikaner ab 1939 im Londoner Exil.

Im Spanien Francisco Francos war Gerhards Musik verboten. Umso stärker versuchte Gerhard, spanische Elemente in seine Musik zu integrieren, zunächst 1940/41 in der zum Gedenken an seinen Lehrer komponierten Symphonie Homenatge a Pedrell und in der Ballettmusik zu Don Quijote (1941). Die Werke Gerhards leben von seinem ausgeprägten Klangsinn, der eine leuchtkräftige Orchestrierung bedingte.

Das - und die offen zu Tage liegenden folkloristischen Konnotationen - machen seine Werke trotz unverkennbar avantgardistischer Ausrichtung und teils strenger Anwendung des Zwölfton-Prinzips und einer davon abgeleiteten rhythmischen Reihenstruktur für die Hörer vergleichsweise leicht dechiffrierbar.

Musik für Shakespeare

Etliche Schauspielmusiken hat Gerhard - beginnend 1949 mit Romeo und Julia und Cymbeline für die Royal Shakespeare Company komponiert. darunter eine für eine Aufführungsserie von King Lear, in der erstmals elektronische Klänge Verwendung finden.

Das Ende des spanischen Faschismus und seine Rehabilitierung in der Heimat hat Gerhard nicht erlebt. Er starb 1970 in Cambridge, wo auch der Großteil seines musikalischen Nachlasses aufbewahrt wird.

Form

In seinen Instrumentalwerken fand Gerhard immer originelle Lösungen, auch dort, wo er klassische Formschemata durchscheinen ließ. Aufschlußreich ist die CD, in der Matthias Bamert mit dem BBC Symphony Orchestra das 1951 entstandene dreisätzige, auf Formen des spanischen Barock zurückgreifende, aber streng seriell gearbeitete Klavierkonzert (Solist: Geoffrey Tozer) mit der (in sieben Abschnitte gegliederten) Dritte Symphonie Collages für Orchester und Tonbandzuspielungen (1960)koppelt.

Die Dritte Symphonie

Musik von enormer Ausdruckskraft, jenseits jeglicher tonaler Bindung.

Die Inspiration zu seiner Dritten Symphonie empfing Gerhard beim Anblick des Sonnenaufgangs in einem Flugzeug in 10.000 Meter Höhe. Er verglich en Eindruck mit einer Explosion des Klangs von 10.000 Trompeten.
Die einzelnen Teile assoziierte Gerhard wie folgt

1. Allegro moderato - Aufleuchten der aufgehenden Sonne
2. Lento - Landung. Rückkehr zur Erde.
3. Allegro con brio - Wut und Verzweiflung des Menschen über mittägliche Finsternis (ein Verweis auf die Lektüre von Arthur Köstlers »Sonnenfinsternis«)
4. Moderato - im Zustand der Bewußtlosigkeit
5. Vivace - Euphorie
6. Funkelnde Lichter ferner Städte
7. Calmo - Mitten in der Nacht.

Die affirmativen, einer strahlender Eruption zustrebenden Schlußtakte seien, so Gerhard,

in der ersten Person Singular komponiert.

Das Tonband liefert - mit Ausnahme des Mittelsatzes - ununterbrochen Kommentare zum orchestralen Geschehen. Die Zuspielung soll ausdrücklich von einem Orchestermusiker »gesteuert« werden. Die Band-Collage wurde für eine Aufführung der Symphonie anläßlich der Londoner Proms 1967 in Stereo rekonstruiert und später auf CD festgehalten. Diese Version wurde für die CD-Aufnahme der BBC verwendet.



↑DA CAPO