Carlisle Floyd
1926 - 2021
Floyds Musik stand in einer Tradition, die von Puccini über Gian Carlo Menotti direkt zu jenen „Well Made Operas“ führte, die für die Ideologen der sogenannten „Neuen Musik“ auf einem Nebengleis zu fahren schienen, dort aber – anders als von Rezensenten viel gerühmte Schöpfungen der anerkannten Avantgardisten – an unzähligen Stationen ein breites Publikum erreichten. In den USA war „Susannah“ sogleich die meistgespielte zeitgenössische Oper nach Menottis Kinderoper „Amahl und die nächtlichen Besucher“ und Gershwins „Porgy and Bess“.
Die vor allem in Europa - und hier wiederum im deutschsprachigen Raum – heftigen Auseinandersetzungen um die Frage, was einem Komponisten stilistisch erlaubt sein sollte, was nicht, musste Carlisle Floyd nie bekümmern. Im Urteil der ästhetischen Modemacher war er kein Mann des 20. Jahrhunderts. Das Publikum hatte er aber noch im 21. Jahrhundert auf seiner Seite.
Schreitet die Nivellierung der Opern-Spielpläne nun weiter voran, wird sich der museale Repertoirebetrieb sich dank der Stückezertrümmerung durch die Regisseure bald erledigt haben. Dann könnte dem Musiktheater Marke Floyd die Zukunft gehören. Wie zu Händels und Mozarts Zeiten – und wie bei den Musicals in unseren Tagen – wird man jeweils die neuesten Werke so lange spielen, als das Publikum danach verlangt.
Dabei gewinnt, wer den Finger am Puls der Zeit hat. Carlisle Floyds letzte Oper, „Prince of Players“ kam am Vorabend der eskalierenden Gender-Debatten auf die Bühne und zeigt die Geschichte des letzten „Boy Players“ der englischen Restauration Edward Kynaston (1640 - 1706), einen Star, der einst sogar den König in seiner Loge warten ließ. Er sollte die Königin spielen, war aber „noch nicht rasiert“!
Der musikalische Stil-Mix, mit dem Carlisle Floyd solche Stücke vertonte, nutzt alle illustrativen Möglichkeiten moderner Orchesterbehandlung, vertraute aber durchwegs auf die formbildende Kraft fühlbarer Grundtöne, auf effektvolle Wechsel zwischen ausladenden melodischen Passagen und prägnanter Deklamation, die den Handlungsverlauf vorantreibt. Das mochte vielen altmodisch scheinen, dürfte aber auch etliche Jahre nach Carlisle Floyds Tod noch ziemlich gut funktionieren . . .
Das Erfolgsrezept
Wie Gian Carlo Menotti schrieb Floyd stets seine Libretti selbst. Mit sicherem Instinkt für die Notwendigkeiten einer musikalischen Dramaturgie, die Gelegenheit zu lyrischen Haltepunkten bieten mußte, ohne die vorwärtstreibende Kraft effektvoller Abläufe und Aktschlüsse aus den Augen zu verlieren, konzentrierte er sich darauf, die Handlung knapp und klar zu erzählen - die Broadway-Erfolge dienten dabei sichtlich als Vorbild.Susannah, die Floyd als 28-järhiger herausbrachte, wurde besonders erfolgreich. Als Vorlage diente die apokryphe Geschichte von »Susanna im Bade«, die Floyd geschickt ins Amerika der Gegenwart verpflanzte. Tennessee, den Ort der Handlung seiner Oper, kannte Floyd aus eigenem Erleben. Seine Kindheitserinnerungen an die dortigen heiße Sommer ließ er in seinen Text einfließen.
Der Komponist stammte aus Latta (South Carolina). Als Sohn eines methodistischen Pfarrers, erfuhr er seinen ersten Klavierunterricht durch seine Mutter. Er war 16, als man ihm ein Stipendium für Klavier am Converse College in Spartanburg (South Carolina) gewährte. Nach seinem Studium unterrichtete Floyd jahrzehntelang am Florida State University in Tallahassee - zunächst Klavier, später auch Komposition.
1949 entstand die erste Oper, Slow Dusk. Der Komponist bekannte selbst, als eine Art Autodidakt gehandelt zu haben, denn von den Gesetzen des Musiktheaters verstand er nichts. Eher war ihm das Genre unsympathisch. Doch führte ihn offenkundig ein sicherer Instinkt: Zuerst entstand der Text, dazu gesellte sich die Musik, zuerst am Klavier impovisatorisch entworfen, dann sukzessive ausgearbeitet bis zur großen Orchesterpartritur.
Die zweite Oper, Fugitives, erlebte 1951 ihre Uraufführung in der Florida State University, doch der Komponist zog das Werk zurück. Er wollte sich akribischen Studien von großen Opernmeistern widmen - und entdeckte analytisch die Geheimnisse von Verdis Spätwerk oder Brittens Peter Grimes. Das waren die Erfahrungen, die ihm für spätere Werke die Grundlage lieferten, wobei er sich musikalisch an der gemäßigten amerikanischen Moderne orientierte – und durchaus auch an den Effekten der Filmmusik. Das war das Erfolgsrezept für Susannah, eine Oper, die Floyd auf Anregung eines Freundes in Angriff nahm, und die sein Chef d'Oeuvre werden sollte. Komponiert in der Saison 1953/54, lag die Partitur im Sommer 1954 vor. Floyd zeigte sie zwei bedeutenden Sängern, die zu den Interpreten der Uraufführung werden sollten: Phyllis Curtin und Mack Harrell, dem ersten amerikanischen Darsteller von Alban Bergs Wozzeck. Die Premiere an der Florida State University im März 1955 wurde zu einem Meilenstein in der amerikanischen Musiktheater-Geschichte. Erich Leinsdorf stand am Dirigentenpult. Und die New York City Opera zeigte sich sofort interessiert. Sie übernahm die Produktion und ging damit sogar auf Tournee: 1958 war Susannah im Rahmen der Weltausstellung in Brüssel zu erleben. Die beiden großen Sopranarien, »Ain’t it a beautiful night« und »The Trees on the Mountain«, wurden alsbald zu beliebten Einzelnummern und dienten zwei Generationen von jungen Sängern als Vortragsstücke, wenn es galt, bei Wettbewerben Musik des 20. Jahrhundert zu nominieren. 1999 kam Susannah dann auch an der Metropolitan Opera heraus, mit Renée Fleming in der Titelpartie. Die Premiere wurde zu einem der großen Triumphe im Leben des Komponisten.
Damals war er freilich längst einer der meistbeschäftigten zeitgenössischen Opernkomponisten. Für die Santa Fe Opera hatte er Wuthering Heights komponiert, 1958 uraufgeführt und im Jahr darauf wiederum an die New York City Opera übernommen – mit Philis Curtin unter der Leitung von Julius Rudel. Die Kritik war diesmal gemischt. Hatte man Susannah noch als »wahrscheinlich beeindruckendste, bewegendste Oper seit Gershwins Porgy and Bess« bezeichnet, hieß es nun Floyds Partitur sei »manieriert und allzu kompliziert und überladen«.
Erst mit der Veroperung von John STeinbecks Of Mice and Men gelang Floyd - nach Jonathan Wade (1962) und dem Einakter The Sojourner and Mollie Sinclair (1963) wieder ein durchschlagender Erfolg. Das Stück kam 1970 an der Seattle Opera heraus und wurde von mehreren Häusern nachgespielt.
Daraufhin gab David Gockley, derDirektor der Houston Grand Opera, gleich drei neue Opern bei Floyd in Auftrag gab. So folgten die Uraufführungen von Bilby's Doll (1976), Willie Stark (1981) und Cold Sassy Tree (2000).
In Houston etablierten der Intendant und Floyd im Verein mit der Ehefrau des Komponisten das »Houston Opera Studio«, einen Ausbildungskurs für Sänger, Dirigenten und Korrepetitoren.
2016 kam Floyds letzte Oper, Prince of Players in Houston heraus: Die Geschichte eines jungen Schauspielers, der im England des frühen XVIII. Jahrhunderts Frauenrollen verkörperte, traf genau den Nerv einer Ära beginnender Gender-Debatten.
Carlisle Floyd starb 95-jährig, 2021 in Florida.