René CLEMENCIC
Der Komponist im Gespräch
8. Juli 1993
»Es ist alles immer dasselbe«
Drachenkampf heißt Ren'e Clemencics musiktheatralische Komposition, die heute, Donnerstag, in der Wiener Universitätskirche uraufgeführt wird. Eine Paraphrase des Hochzeitsrituals, ein "Psychogramm der heiligen Einheit der Gegensätze".Gegensätzliches, scheinbar Unzusammenhängendes verbindet die Musik Clemencics seit jeher. Der polyglotte Wiener, ehemals Philosophiestudent der Sorbonne, Leiter eines nach ihm benannten Consorts, wurde als Interpret Alter Musik weltberühmt und hat von seiner Beschäftigung mit alter und ältester Komponiertradition ausgehend seinen eigenen Weg als schöpferischer Künstler gefunden.
Er versteht, erklärt er im Gespräch, Musik als "Hörbarmachen des Weltgesetzes". Die alten Visionen der "Sphärenharmonien" feiern im Komponierstübchen Clemencics fröhliche Urständ. Ästhetische Fragen interessieren ihn viel weniger als mystische, philosophische Fragen.
Zeichen für innere Vorgänge
Er will "Zeichen setzen für innere Vorgänge". Und für die "äußeren", höheren, die die Welt zusammenhalten. Denn es gehört alles zusammen. "Das ist ja alles dasselbe", sagt Clemencic öfters im Gespräch, wenn er gerade wieder Andeutungen über innere Entsprechungen scheinbar weit auseinander liegender, scheinbar unzusammenhängender Fakten, Zahlen, Wortkombinationen gemacht hat. So kommt auch im "Drachenkampf" alles in eins zusammen, die "Hochzeit" von Männlich und Weiblich, Gut und Böse, Hell und Dunkel, die Vereinigung der Gegensätze, dingfest gemacht mit tönenden Metaphern, die auf den Hörer in Form von simplen Trompetenfanfaren, penibel errechneten harmonischen oder rhythmischen Kombinationen, oder auch in silbrig einsamen Triangeltönen eindringen. Symbolistisch verschlüsselt und offen - für alle möglichen persönlichen Deutungen.Fragen nach "stilistischen" Traditionen, an die Clemencic in seinem Komponieren anknüpft, stellen sich nicht. Denn die Meister des zwanzigsten Jahrhunderts sind für ihn persönlich in diesem Sinne "nicht wichtig". Ihre Musik fungiert ihm höchstens als Anregung - für Details, etwa die "Materialgewinnung".
Clemencic verwendet "immer das Tonmaterial, das mir vom Stück", von den jeweiligen Inhalten, "gerade suggeriert wird". So begeistert er sich nicht nur für mittelalterliches Kunstdenken, sondern auch für Tierlaute: "Ich habe da unglaubliche Aufnahmen aus dem Amazonasgebiet. Da hat man viele, viele Anregungen noch nicht aufgenommen".
Kabbalistisches in Cividale
Beim "Mittelfest" in Italien wurde vor einiger Zeit ein Oratorium Clemencics uraufgeführt, das sich mit kabbalistischem Gedankengut beschäftigt - eine Arbeit, die den Künstler "entscheidend geprägt hat. Ich will jetzt auch Hebräisch studieren, denn diese Sprache ist der Schlüssel zu vielem. In den fünf Büchern Mose hat Buchstabe für Buchstabe seine eigene Bedeutung." Allein aus der zweiten Hälfte des ersten Wortes ließe sich, so Clemencic, ganz Kabbalist, ein Gleichnis für jene Vereinigung ableiten, die auch sein "Drachenkampf" zum Inhalt hätte. Deshalb hätten, wie die hebräischen Buchstaben, auch die musikalischen Töne ihre Symbolkraft.Das hat allerdings Tradition, bis hin zu den streng mathematisch nachvollziehbaren Ordnungen in Alter Musik. "Auch Bach", sagt Clemencic, "war ja ein kabbalistischer Komponist. Das hört natürlich nicht jeder, aber er spürt es." Wohl weil es "immer dasselbe ist", mit der "Weltenharmonie".