Das Genie im Betrieb
April 1996
»Kollegen«-Briefe
von und an R. Strauss
Gabriele Strauss (Hrsg.)
Lieber Collega!
Richard Strauss im Briefwechsel mit zeitgenössischen Komponisten350 S., geb., S 725 (Henschel Verlag, Berlin)
Brief-Editionen sind meist die beste Quelle für die Erkundung der Persönlichkeit großer Künstler. Richard Strauss ist in dieser Hinsicht hervorragend dokumentiert. Seine Korrespondenz mit Hugo von Hofmannsthal, aber auch Briefe an die Eltern und an Zeitgenossen wie Josef Gregor oder Clemens Krauss, die für seine Karriere bedeutsam waren, zählen längst zum Fixbestand der Bibliotheken musikalischer Haushalte.
Nun ist eine weitere Reihe avisiert, die Strauss' briefliche Kontaktnahme mit Kollegen und Intendanten nahezu lückenlos umfassen soll. Band eins beweist, daß das keine überflüssige Pflichtübung werden wird: Kaum ein anderer schöpferischer Mensch der Jahrhundertwende hat sich so umfassend mit organisatorischen Problemen im Musikleben seiner Zeit auseinandergesetzt.
Die hier veröffentlichten Schreiben enthalten zum geringsten Teil höfliche Gruß- und Ehrerbietungsfloskeln, wie sie zwischen einem jungen Meister und seinen Vorbildern - etwa Giuseppe Verdi - üblich waren. In der überwiegenden Mehrzahl erfährt der Leser in jedem Brief aufschlußreiche Details über Zwänge und Zielvorstellungen im Opern- und Konzertleben der zu Ende gehenden deutschen Monarchie.
Das Persönlichkeitsbild vom wild entschlossenen Genie, das mit sicherem Instinkt erkennt, wie ein aufstrebender Musiker seine Interessen im scheinbar feststehenden Gefüge des Weimarer oder Münchner Kulturlebens durchsetzen kann, ohne Form oder Etikette zu verletzen, dieses Image erfährt mit diesem Buch keine Korrektur.
Im Gegenteil.
Hier entwickelt sich jener Charakter, der sich später auch in schwierigsten Zeiten der deutschen Geschichte noch halbwegs ohne Gesichtsverlust zu bewegen wußte.
Von der durchaus bereits selbstbewußten Anlehnung an den väterlichen Förderer Hans von Bülow über klare Positionierungen gegenüber Theaterintendanten bis hin zu freundschaftlicher Kollegenpost von Humperdinck bis d'Albert reicht das Spektrum. Nicht nur der Komponist, auch - und vor allem - der Kapellmeister Strauss äußert sich zu allen Fragen, die sein Künstlerleben bewegen.