Richard Strauss
METAMORPHOSEN
1945
SINKOPHON: Die »Metamorphosen«
Das Entstehungsdatum verrät alles über den Charakter dieses Werks. Richard Strauss komponierte die Metamorphosen im schweizerischen Exil über Auftrag von Paul Sacher, der 1946 die Uraufführung mit seinem Basler Kammerorchester dirigierte.
Das Werk entstand im April 1945, also noch vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs. Es ist, inspiriert vom Anblick des von Bomben zerstörten Heimatstadt des Komponisten, München, ein Klagegesang auf den Untergang der europäischen Kultur. Schon das zu Beginn vorgestellte Hauptthema des ersten Abschnitts klingt von Ferne an Beethovens Trauermarsch in der Eroica an. Doch finden zunächst Metamorphosen der von Strauss gewählten Variante des Gedankens statt - sie führen in immer neuer Variation zu gewaltigen, schmerzhaften Ausbrüchen. In stetem Fluß führt das Geschehen in den fließenderen Mittelteil der pausenlos ablaufenden Komposition.
etwas fließender
Hier werden hellere, freundlichere, immer aber leidenschaftlich sich aufbäumende Klänge laut - wie in der frühen Tondichtung Tod und Verklärung beschwört Strauss hier Erinnerungen, läßt retrospektiv Träume und Sehnsüchte noch einmal wach werden und in der Phantasie wuchern -- bis der Spannungsbogen, ins Unerträgliche gesteigert, zusammenbricht.
Tempo I
Der Klagegesang hebt wieder an und verklingt zuletzt in hoffnungsloser Resignation - hier ertönt Beethovens Musik, von deren Nachhall in der Erinnerung alles ausgegangen war, in ihrer originalen Gestalt.
In Memoriam! schreibt Strauss unter die letzte Notenzeile. Immerhin: Seine Inspiration verhalf ihm danach noch zu einem abgeklärt arkadischem Oboenkonzert und den wunderbaren Vier letzten Liedern. Seine Ideale aber waren mit den Katastrophen des XX. Jahrhunderts dahingesunken.
Ein frühes Skizzenblatt der Metamorphosen hat sich in der Münchner Staatsbibliothek erhalten. Es beweist, daß Strauss ursprünglich an ein Streichseptett gedacht hatte, im Verlauf der Komposition dann aber offenbar erkannte, einen größeren Streicherapparat zu benötigen, um die angestrebte Klangentfaltung und Farbigkeit zu erzielen. So kam es zur vielfach aufgesplitterten Besetzung mit 23 Solo-Streichern, die sich zuweilen zu wenigen Stimmen vereinigen, hin und wieder aber auch tatsächlich solistisch miteinander kommunizieren.
Einige Dirigenten besetzen die einzelnen Stimmen zumindest bei manchen intensiven Passagen des Werks mehrfach. Herbert von Karajan, der mit den Wiener Philharmonikern schon Ende der Vierzigerjahre eine Schallplattenaufnahme der Metamorphosen
gemacht hat (heute vertrieben von Warner), ließ ab dem Höhepunkt des fließenden Mittelteils das gesamte Streichorchester musizieren. Seine beiden Aufnahmen mit den Streichern der Berliner Philharmoniker (DG - analog und digital) sind in ihrer luziden Klanglichkeit und Transparenz bei gleichzeitig immenser Ausdruckskraft Referenz-Einspielungen geworden. Die erste, analoge Version erschien in bemerkenswerter Repertoire-Konstellation nach Art eines Konzeptalbums
mit Mozarts nicht minder tiefgründigem Satzpaar Adagio und Fuge und Beethovens Großer Fuge op. 133
(in chorischer Besetzung).