Enoch Arden

Ein Versuch mit der sperrigen Gattung des Melodrams

Was er von dem Gedicht Lord Tennysons halte, das er da zu einem so ungewöhnlichen Melodram verarbeitet hatte, fragte man Richard Strauss. „Ja, was glaubt's ihr denn“, lautete die bajuwarische Antwort: „I schlaf' doch an mein' Flügel, wenn der Possart seine Tränerln ausdruckt“. Das war typisch für den Komponisten – allzu überschwengliche

Gefühlsäußerungen überließ er seinen Hörern. Und es war ein gar traurig Lied, das er da gesungen hatte.

Oder einem Schauspieler zu sprechen aufgegeben, besser gesagt, denn „Enoch Arden“ war ein Melodram, Beispiel für jene Gattung, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts ihre ersten Blüten getrieben hatte: Mozart war fasziniert davon, Beethoven nutzte die Technik, um in der Kerkerszene seines „Fidelio“ schaurigen Effekt daraus zu schlagen, Schönberg verspürte Lust, die Kunst wieder zu beleben, im Finale seiner „Gurrelieder“ und dann, raffiniert verdichtet, in seinem „Pierrot Lunaire“, wo dem Sprecher sogar Tonhöhen vorgeben sind.

Leichter zu realisieren ist das erste der beiden Melodramen von Richard Strauss. Die Musik zu diesem eigenwilligen Verschnitt aus Odysseus und Robinson Crusoe sieht vor allem kurze Introduktionen und Zwischenspiele vor, verschwistert sich nur hie und da direkt mit dem gesprochenen Wort, das der Rezitator dann ganz frei in die Klänge integrieren darf.

Für die Karriere von Strauss waren die Tourneen mit Ernst von Possart freilich wichtiger als er gern zugab. Komponiert während der Arbeit am „Don Quixote“, war „Enoch Arden“, vom Bayerische Hofschauspieler zur Klavierbegleitung von Strauss rezitiert, populärer als die Tondichtungen.

Über den Sensationserfolgen des Opernkomponisten geriet das Melodram in Vergessenheit.

Glenn Gould hat es wieder herausgekramt und Anfang der Sechzigerjahre in eine Schallplattenaufnahme mit Claude Rains herausgebracht – wobei der originale englischsprachige Text Tennysons Verwendung fand.

In der Folge engagierten sich aber auch prominente deutschsprachige „Erzähler“ (oft waren es Sänger) von Jon Vickers und Dietrich Fischer-Dieskau bis Brigitte Fassbaender für die Geschichte des schiffbrüchigen Helden und seiner hehren Selbstverleugnung: Nach der Heimkehr vermeidet es Enoch Arden, seine wieder verheiratet Frau und die Kinder, die ihn tot glauben, aus ihrem neuen Idyll aufzuschrecken.

Der große Schauspieler und Rezitator Bruno Ganz hat seine allerletzte Sprachaufnahme diesem Werk gewidmet, von Kirill Gerstein mit Gefühl und dem nötigen theatralischem Impetus begleitet: Sprechkunst allerhöchster Prägung.

↑DA CAPO