Nikolai Mjaskowskij
1881 - 1950
Nikolai Jakowlewitsch Mjaskovskij kam 1881 in der Nähe von Warschau) als Sohn eines russischen Ingenieurs zur Welt und erfuhr seine Ausbildung an den zaristischen Kaderschmieden in Nischnij-Nowgorod und St. Petersburg. Musikalische Grundlagen erhielt er im Privatunterricht bei Reinhold Glière, bevor er 1906 ins St. Petersburger Konservatorium eintrat, wo Alexander Ljadow und Nikolai Rimskij-Korsakow zu seinen prägenden Lehrerfiguren gehörten. Sein Kommilitone Sergej Prokofieff wurde zum engen Freund - man teilte sich das Debüt-Konzert und Mjaskowskij soll sogar etliche originelle Titel für die Werke seines Kollegen »erfunden« haben.
1907 quittierte Mjaskowskij seinen Dienst bei der Armee. In den folgenden Monaten entstand als Hauptwerk seiner Studienzeit die Erste Symphonie in c-Moll, op. 3, die ihm das Glasunow-Stipendium einbrachte.
Er war bereits selbst als Lehrer tätig, als er während des ersten Weltkriegs zum Militärdienst einberufen wurde, um an der Front gegen Österreich-Ungarn zu dienen. Schwer verwundet und für sein Leben traumatisiert, kehrte er zurück, trat aber dennoch 1917 in die Rote Armee ein.
Nach der Demobilisierung, 1921, gehörte er dem Moskauer Konservatoriums an, wo er bis zu seinem Tod eine Kompositions-Klasse leitete. Katschaturian und Kabalewskij gehörten zu seinen Studenten. Als Gründer der Vereinigung für zeitgenössische Musik kam er 1948 im Zuge des gnadenlosen Kultur-Terrors während Andrej Schdanows Prozessen gegen Kulturschaffende ins Kreuzfeuer der Kritik. Wie Schostakowitsch, Prokofieff und einige seiner ehemaligen Studenten wurde er wegen "formalistischer Umtriebe und antidemokratischer Tendenzen" gerügt. Majskowskij weigerte sich als einziger der Komponisten, zu »widerrufen«. Mieczyslaw Weinberg berichtete, daß Mjaskowskij eines Tages, als das Dekret in privatem Kreis diskutiert wurde, auf die Aussage, es sei eine »historische« Entscheidung meinte: nicht historisch. Hysterisch! Mjaskowskij hat seine Rehabilitierung nicht erlebt. Er starb am 8. August 1950 in Moskau. Seine letzte Symphonie wurde posthum uraufgeführt.
Schdanows Verdikt traf einen trefflichen musikalischen Könner, dessen stilistische Entwicklung längst ohne äußeren Druck von experimentelleren harmonischen Abenteuern - bis hin zu bitonalen Klangflächen - in die Arme der »volksnahen«, von folkloristischer Melodik geprägten Dur-Moll-Tonalität geführt hatten. Einige der symphonischen Werke biedern sich sogar unverblümt an die Parteidoktrin an: So feiert die Zwölfte Symphonie die landwirtschaftlichen Kollektivierungen des Stalin-Regimes.
Andererseits erweist sich Mjaskowskij in etlichen seiner klassizistischen, aber oft durch ungeöhnliche Formkonzepte überraschenden Werke als exzellenter Handwerker. 27 Symphonien (es gibt eine Gesamtaufnahme unter Jewgenij Swetlanow!) 13 Streichquartette und neun Klaviersonaten stammen aus seiner Feder. Das erste seiner Instrumentalkonzerte, das 1936 entstandene Violinkonzert, komponierte er für den jungen David Oistrach. Es führt von einem dramatisch bewegten Allegro-Satz über ein lyrisches Adagio zu einem geradezu fröhlichen Finale.
Mjaskowskijs Symphonik
Ein bemerkenswertes Beispiel für Mjakowskijs introvertierten Personalstil bietet die 1943 entstandene 24. Symphonie op. 63, mit knapp 40 Minuten Dauer eine der längeren der Reihe, skizziert während der Evakuierung der sowjetischen Intelligenzija im Gefolge des deutschen Angriffs auf Rußland. Das Werk entstand im Gedenken an zwei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten des russischen Musiklebens: Sergei Rachmaninow war im amerikanischen Exil gestorben, in Moskau der Musikwissenschaftler und Publizist Wladimir Derschanowskij, für dessen Musik-Zeitschrift Mjaskowskij etliche Artikel geschrieben hatte.
Die Musik reflketiert nun keinewegs haltlose Trauer, sondern gedenkt der Wegbegleiter in sanft-lyrischer Melancholie. Wobei die dreisätzige Entwicklung von einem dramatischen Beginn zu in f-Moll zu einem verklärend-ruhigen F-Dur-Schluß von Ferne an die Dramaturgie der Dritten Symphonie von Johannes Brahms erinnert.
Die Uraufführung der Symphonie Nr. 24 fand unter der Leitung von Jewgenij Mrawinsky noch 1943 in Moskau statt.