Arthur Lourié

1892 - 1966
Der Meister der Formen in der Luft

Arthur Vincent Lourié (eigentlich: Naum Israilewitsch Lurja) war eine ungewöhnlich selbstbestimmte, im tiefsten Sinne eigenwillige Figur der Musik- und Literaturgeschichte. In Rußland als Sohn eines jüdischen Industriellen geboten, demonstrierte er sein Selbstbewußtsein schon als junger Mann als er das Konservatorium von St. Petersburg vorzeitig verließ, weil ihm die Ausbildungsmethoden nicht zusagten. Er galt neben Prokofieff immerhin als eines der herausragenden pianistischen Talente seiner Generation und durfte bei Glasunow Komposition und bei der Busoni-Schülerin Maria Barinowa Klavier studieren.

Als Autodidakt brachte er es dann immerhin so weit, daß ihn Lunatscharski nach der Revolution auf den Posten des Leiters der Musikabteilung im Kommissariat für Volksaufklärung berief. Doch auch dort ging es nicht so zu, wie Lourié sich das erhofft hatte. 1922 ging er im Gefolge einer offiziellen Reise über Berlin nach Paris, während der Zweite Weltkriegs tobte, ließ er sich dann in den USA nieder, wo ihm Serge Koussevitsky die sprichwörtlichen Türen öffnete, die er freilich in seiner exzentrischen Art rasch selbst wieder zuschlug.

Das eigenbrötlerische Schaffen Louriés stand anfangs dem Symbolismus nahe und münzt manche religiöse Konnotation entsprechend um. Skrjabin und Debussy faszinierten ihn. Aber auch Schönberg und avantgardistische Experimente. Seine Syntèses nehmen 1914 die »atonale«Sprache der »Wiener Schule« auf und experimentieren mit Zwölfton-Feldern.

Sie stehen am Ende einer Reihe von Klavierwerken, die Lourié aus seinem von Debussy und Skrjabin beeinflußten Frühwerk auf eigene Wege führte.

Die Klavierwerke:
  • Trois Etudes(1910-1911)
  • Fünf »Préludes fragiles« op. 1    (1910)
  • Deux Estampes op. 2    (1910)
  • Intermède enfantine    (1910-1911)
  • Zwei Mazurken op. 7    (1911-1912)
  • Zwei Poèmes op. 8
  • Salomé-Liturgie    (1912-1913)
  • Quatre Poèmes, op.10     (1912-1913)
  • Prélude, op. 12/2    (1912)
  • Deux Poèmes    (1912)
  • Masques op. 13 (Tentations)    (1913)
  • Synthèses op. 16    (1914)


  • Wobei die ganz deutlich von Skrjabin herkommenden Poèmes op. 10 bereits für ein Spezialklavier gedacht sind, das Vierteltöne realisieren kann.

    Giorgio Koukl hat sämtliche Klavierwerke Louriés auf zwei CDs für das Label Grand Piano eingespielt.

    Für Experiment mit Vierteltönen schuf Lourié ein eigenes Notationssystem. Wenig später aber wandte er sich simpleren neoklassizistischen Fakturen nach Strawinskys Vorbild zu.

    An Strawinskys Seite

    Mit Strawinsky verband Lourié während seiner Pariser Jahre eine enge Verbindung. Lourié betätigte sich als Musikschriftsteller, schrieb glühende Strawinsky-Elogen und stellte auch Klavierauszüge von einigen Werken seines Kollegen her. Ein Streit mit Strawinskys Frau Wera beendete das beinah familiäre Verhältnis. Strawinsky hat Louriés Namen danach nie mehr erwähnt.


    Aparte Klang- und Raum-Visionen

    Eine Vorliebe hegte Lourié, der auch privat als extravagant galt und zu Zeiten das Leben eines Dandys führte, für klangliche Experimente. Auch visionäre Versuche mit räumlichen Vorstellungen und neuen Notationsformen stellte er an. Die Texte für seine Vokalwerke stammen unter anderem von Sappho, Puschkin, Mallarmé, Verlaine, Blok, Majakowski oder Dante. Eine Kantate La naissance de la beauté nach einem Text Jules Supervielles ist für die aparte Besetzung Sopransolo, sechs »begleitende« Sopranstimmen, Klarinette, Fagott, Cembalo und Becken gesetzt.

    Für Klavier schrieb er 1915 die Pablo Picasso gewidmeten Formen in der Luft, in denen Taktstriche ebenso fehlen wie zusammenhängende metrische Strukturen. Die musikalischen Elemente bewegen sich wie Teile eines klingenden Mobiles frei im Raum.

    An der Wende von der französischen zur amerikanischen Periode in Louriés Schaffen steht die 1941 vollendete Zweite Symphonie, ein Werk mystisch-religiösen Zuschnitts, das Lourié, der noch in Rußland vom jüdischen zum orthodoxen Glauben konvertiert war, der Gottesmutter zugeeignet hat und das voll von symbolischen Zuordnungen steckt: Den Intervallschritten wird geistlicher Gehalt zugeschrieben.

    Dieses Werk ist die letzte Stufe einer Entwicklung, die mit einer Sonate liturgique für Klavier, Chor und Orchester 1928 begonnen hatte und in der Folge auch zur ersten der Symphonien, Sinfonia dialectica, führte.

    Diese etwa 15 bis 16 Minuten dauernde Erste Symphonie nahmen Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Willem Mengelberg, Leopold Stokowski und Ernest Ansermet in ihr Repertoire auf.

    Opern

    Nach einem - vor Schostakowitsch unternommenen, abgebrochenen Versuch mit Gogols Die Nase (1923) schrieb Lourié zwei große Bühnenwerke nach Vorlagen Alexander Puschkins: Die Ballettoper Das Gastmahl während der Pest (1933) und Der Mohr Peters des Großen (»Arap Petra Velikogo«), das ehrgeizigste Projekt des Komponisten, an dem er von 1949 bis 1961 arbeitete, von dem aber bis dato lediglich Leopold Stokowski eine Orchester-Suite aufgenommen hat. Eine szenische Realisierung des Werks, das mittels symbolistisch-erotisch überfrachteten Texten die Geschichte von Puschkins Urgroßvater, eines afrikanischen Sklaven, aufarbeitet, steht noch aus.

    ↑DA CAPO