Sofia Gubaidulina

geb. 1931

Als Ideal betrachte ich ein solches Verhältnis zur Tradition und zu neuen Kompositionsmitteln, bei dem der Künstler alle Mittel – sowohl neue als auch traditionelle – beherrscht, aber so, als schenke er weder den einen noch den anderen Beachtung.

Zwischen allen Stühlen, über alle Mittel gebietend, aber nur ihrer eigenen inneren, formenden Stimme folgend, komponiert Sofia Gubaidulina. Sie gehört keiner Richtung, keinem Clan, keinem »Ismus«. Sie ist Sofia Gubaidulina. Und da ihre Musik prominente Fürsprecher gefunden hat, allen voran den Geiger Gidon Kremer, konnte sich die Welt davon überzeugen, daß diese Komponisten etwas zu sagen hatte.

Sie stammt aus Tatarstan, war die Enkelin eines islamischen Imams und studierte in Kasan, dann in Moskau Klavier, bald auch Komposition. Es gelang ihr, allen Anfeindungen zum Trotz - sie hatte sich dem staatlich verordneten Atheismus zum Trotz unter dem Einfluß der Pianistin Maria Yudina zur Orthodoxie bekannt - ab 1963 ausschließlich ihrer schöpferischen Arbeit zu leben.

Zu ihren Inspirationsquellen gehören nicht nur die großen Werke der Vergangenheit, sondern auch die Klangmöglichkeiten, die sich ihr beim Improvisieren auf Instrumenten der Volksmusik unterschiedlicher Regionen der ehemaligen Sowjetunion erschlossen. Obwohl sich von Anfang an viele Musiker fanden, die Gubaidulinas Musik in ihrer Originaliät schätzten, wurde sie von den strengen Kunstrichtern des kommunistischen Systems des öfteren mit Aufführungsverboten belegt. Der Weg, den die junge Komponisten eingeschlagen hatte, war in den Augen der sowjetischen Zensur schlicht und einfach »falsch«.

Immerhin hatte Schostakowitsch der jungen Kollegin bei einem vertraulichen Gespräch geraten:

Seien Sie Sie selbst. Haben Sie keine Angst, Sie selbst zu sein. Ich wünsche Ihnen, daß Sie auf ihrem eigenen falschen Weg weitergehen mögen.

Mstislav Rostropovitsch, Gidon Kremer oder David Geringas nahmen Gubaidulinas Werke auf West-Tourneen mit. Das für Kremer komponierte Violinkonzert Offertorium kam im Mai 1980 in Wien zur Uraufführung. Bei Kremers Kammermusik-Festival im burgenländischen Lockenhaus kam 1986 im Rahmen eines Schwerpunkts mit Gubaidulinas Musik Perception für Sopran, Bariton und sieben Streichinstrumente heraus.

Der Druck von außen wurde stark genug, daß für die Künstlerin 1986 das Reiseverbot aufgehoben wurde. Nach dem Zusammenbruch des Systems zog sie 1991 nach Deutschland. Sie lebt in der Nähe von Hamburg.

Mittlerweile reißen sich die berühmtesten Interpreten um Novitäten aus Gubaidulinas Feder. Die spektakulärsten Premiere galt der Johannespassion, ihrem bisher umfangreichsten Werk, das als Auftragskomposition zur Feier des Bach-Jahrs für die Bachakademie Stuttgart entstand und auf ungewöhnliche Weise die Passions-Erzählung mit Elementen der Apokalypse verquickt. Christliche Themen stehen seit jeher im Mittelpunkt des Schaffens der Komponisten. Der Passion folgte ein Oratorium Johannes-Ostern, das - wie die Passion - in kirchenslaWischer Sprache gesungen wird.

2007 hoben Anne-Sophie Mutter und die Berliner Philharmonikee unter Simon Rattle das Zweite Violinkonzert, »In tempus praesens« aus der Taufe, das sich wie manch anderes Werk Gubaidulinas mit dem Phänomen der Zeit auseinandersetzt.

Doch entstanden auch experimentelle Vertonungen von Christian Morgensterns Galgenlieder für den NOrddeutschen Rundfunk, in denen sich die Komponistin hie und da durchaus auch von einer humoristishen Seite zeigt.

↑DA CAPO