* SINKOTHEK *

Der ganze Prokofieff

Swjatoslaw Richter präsentiert uns ein Kompendium.

Die Vorgeschichte


Serge Prokofieff stand und steht im Schatten von Strawinsky-und in jüngster Zeit auch von Schostakowitsch. Einige populäre Stücke wie "Symphonie classique" und "Peter und der Wolf" ausgenommen, hat man die Universalität seines Schaffens noch keineswegs verinnerlicht. Dabei wären die Konnotationen mit politisch-biographischen Wahrheiten in seinem Fall mindestens so spannend wie bei Schostakowitsch. Anders als Strawinsky war Prokofieff ja aus der Emigration zurückgekehrt.

Nach scheinbarem Tauwetter schnappte Stalins Falle zu. So teilt sich Prokofieffs Werk scheinbar in eine experimentell freche, offene, geistsprühende Frühphase und ein dem sowjetisch-,,völkischen" Geschmacksdiktat unterworfenes Spätwerk. Wie die Entwicklung tatsächlich verlief, lässt sich schwer studieren, denn in der Aufführungspraxis sind zu wenige Werke präsent.

Die Doppel-CD dokumentiert zwei Klavierabende, die Swjatoslaw Richter 1980/81 in Tokio gegeben hat. Sie boten einen Überblick über Prokofieffs gesamte künstlerische Bandbreite, die Klaviersonaten VI und IX im Zentrum.

Die Sechste hat der 27-jährige Richter (nach einer Radioaufführung durch Prokofieff selbst) zur Uraufführung gebracht.
Er hat auch als Erster alle drei Kriegssonaten (Nr. 6 bis 8) zyklisch präsentiert, bekam dafür die Neunte gewidmet-und war über deren Schlichtheit und Introversion zuerst enttäuscht.
Doch lernte er auch "seine" Sonate lieben und spielte sie im Wissen um die vielen einander scheinbar widerstrebenden Elemente, die den Stil dieses Komponisten ausmachen. Sie sind in der Neunten eingebettet in eine dezent zurückgenommene Ausdruckswelt, die nur erfassen kann, wer Prokofieff als großen Melodiker erkannt hat.

Hingabe. Schon die strömende Linienführung, zur der Richter im ersten Satz dieser Sonate findet, zeugt von seiner Hingabe an ihre eigenwillige Schönheit. Wie dann in den folgenden Sätzen der "andere Prokofieff" schelmisch um die Ecke lugt, das klingt so meisterlich wie der aggressive Zugriff und die ironische Distanz, die in der kraftvolleren Sechsten verlangt sind. In kleineren Piecen aus "Cinderella",dem Walzer aus "Krieg und Frieden",den "Visions fugitives" und einer der "teuflischen Einflüsterungen" werden der Sarkastiker, der Melancholiker, der elegante Tänzer Prokofieff zum Ereignis. Umfassender lässt sich seine Klangsprache auf so knappem Raum wohl nicht dokumentieren; wissender, hingebungsvoller musizieren ohnehin nicht. (Divox)

↑DA CAPO