Apocalypse Now im Narrenkäfig

Prokofieffs »Feuriger Engel« in der Volksoper

15. Februar 1995
Übersinnliches, Teufelsglaube, Exorzismus, ertränkt in Klangorgien von seltener Lautstärke.

Wo sonst »Lippen schweigen« und »Geigen flüstern« herrscht plötzlich der Irrsinn. Nicht, daß sich die Violinen des Volksopernorchesters selten ins Pianissimo zurücknähmen. Sie tun das, getreulich Serge Prokofieffs Vorschriften und Donald Runnicles Dirigierbewegungen folgend, des öfteren an diesem Abend. Aber mit welchem Ergebnis: Es schwirrt und surrt unheimlich, dissonante Glissandi verbreiten die Atmosphäre eines Psychothrillers.

Und kein Entrinnen möglich: Der russische Komponist hat mit seiner Veroperung des Romans von Valeri Brjussow das seltene Beispiel eines Gruselschockers für die Musiktheaterbühne geschaffen. Alles, was in klassischen Opern auch gern vorkommt, scheint hier pervertiert.

Liebe wird zur Besessenheit, Geistererscheinungen zu Horrorvisionen und jede Anomalie scheint noch zur Potenz erhoben. »La Cage aux Folles«, durch den Fleischwolf gedreht. Vor den Wahnsinnsattacken der Heldin Renata verblassen die Koloraturen der Lucia di Lammermoor zu tönenden Faschingsgirlanden.

Diese Oper verlangte schon in den zwanziger Jahren, was Filmemacher erst heute konsequent realisieren. Und hier liegt vielleicht auch die einzig mögliche Antwort auf die Frage, warum sich irgend jemand dergleichen pathologisch deformierte Orgiastik zu Gemüte führen sollte: Auch im Kino sind aberwitzige Psychothriller zuweilen Kassenschlager.

Ein Bedürfnis nach dergleichen ist also offenbar vorhanden. So viel zur Zielgruppe. In der Volksoper trägt, wie schon angedeutet, vor allem das Orchester dazu bei, daß die Stimmung im Saal die vorgesehene Siedehitze erreicht. Donald Runnicles, der schon bei Schostakowitsch ungeahnte Energiereserven bei den Musikern entdeckt und mobilisiert hat, erntet diesmal nicht ganz so präzise, aber unbarmherzig exekutierte Intensitätsgrade in Sachen Lautstärke, aber auch Suggestivkraft.

Klangterror

Da können die Sänger kaum mithalten. Zwischen den oft bis an die Schmerzgrenze getriebenen »teuflischen Einflüsterungen« der Orchesterklänge und dem Ausdrucksvermögen der Singstimmen klafft eine Lücke. Wicus Slabbert schließt sie am ehesten: Bei ihm wird fühlbar, daß der »Ritter Ruprecht« der irrsinnigen Heldin Renata mit Haut und Haar verfällt und sie auf der Suche nach ihrem »feurigen Engel« bis ins Verderben begleiten muß.

Anja Silja soll diese Geplagte sein und wirft ihre starke Persönlichkeit ganz dafür in die Schlacht. Ein paar durchdringende Töne weniger hätten - gerade im schrillen Ambiente - mehr an musikalischer Wahrhaftigkeit bedeutet.

Geführt werden die beiden auf ihrer Reise durch schwarze Seelentiefen in einem zumeist trostlos grau-weißen Bühnenbild (Gottfried Pilz) von Christine Mielitz. Der kahle Turm ist wohl Sinnbild der Ausweglosigkeit der Darsteller: Dreht er sich, präsentiert er doch immer nur wieder dasselbe kahle Gefängniszimmer, versinkt er, befinden wir uns in öder Fläche, die nur von fahlen Lichtern, jäh einfallenden Schatten durchzuckt und von etlichen, meist ebenso trostlos grau gewandeten, ihre dankbaren Kleinaufgaben nutzenden Mitgliedern des Volksopernensembles bevölkert ist.

Sie alle (von Ernst Dieter Suttheimer über Kurt Schreibmeyer bis Peter Wimberger und Herwig Pecoraro) sind aber von der Regisseuse keineswegs so zwingend zum Alptraumverein arrangiert worden, wie die quälende Musik ihn ahnen ließe. Die Bühne bleibt dank reduzierter, manchmal sogar lächerlich unbeholfen angewandter Regietheatermittel weit hinter den tönend geschürten Erwartungen zurück.

Die wenigsten Bilder der Aufführung fixieren den Betrachter, wie die Klänge den Hörer fesseln, ja sogar: terrorisieren. Die Musik zwingt, die Optik ist ausweichlich. Dennoch verläßt man den »feurigen Engel« gerädert. Und das ist es wahrscheinlich, was Prokofieff wollte. Ich bin gespannt, was die Abonnenten sagen.

↑DA CAPO