Gespenstersonate
Premiere in der Wiener Kammeroper, Februar 2010
Aribert Reimanns "Gespenstersonate" ist wie eine kammermusikalische Entspannungsübung zwischen die Giganten "Lear" und "Troades" gebettet. Tatsächlich ist das Werk eine gespenstische "Sonate" für ein Miniaturorchester, deren Musik über weite Strecken scheinbar gar keine direkten Assoziationen zur Bühnenhandlung erlaubt.
Die Singstimmen bewegen sich sehr oft gegen alle Vorschriften der Deklamation und jeglicher klassischen Sanglichkeit; als wären sie von denselben Überlegungen diktiert wie die instrumentalen Linien und Verzweigungen, die das Orchester unter Daniel Hoyem Cavazza konzentriert realisiert.
Dass der langjährige Gesangsprofessor Reimann so ganz gegen die Singstimmen agiere, widerlegt freilich Cornelia Horak im Finale: Sie singt ihr "Lied", mag dessen Melodie auch noch so sprunghaft zwischen den Registern hin und her wechseln, mit belcantesker Geschmeidigkeit.
Mit einem Mal kommt der Schönheitsbegriff ins grausige Psychospiel: In Strindbergs "Hyazinthenzimmer" ist das ätherische Gegenbild zur mumifizierten Grausamkeitsetüde beheimatet, die von sämtlichen Musikanten dieser "Gespenstersonate" geübt wird: Seit Jahr und Tag quält man einander. Ausgesprochene, vor allem aber unausgesprochene Verfehlungen, Missetaten, Widerlichkeiten balancieren die Menschenmarionetten. Reimann lässt sie zu seiner Musik tanzen.
Bald versteht man, wie er Klangbilder aus einzelnen Schlüsselmomenten der Handlung entwickelt, um sie dann mit den Mitteln der "absoluten" Musik zum Kontrapunkt des Geschehens werden zu lassen.
So entsteht ein Spannungsfeld, das in der Kammeroper konsequent genutzt wird. Selten hat man in jüngster Zeit in dieser Stadt eine so stimmige Operninszenierung zu sehen bekommen. Regisseur Peter Pawlik findet offenbar die Seelenwirren, die Strindberg und Reimann abhandeln, verzwickt genug, als dass sie noch zusätzlicher Verkomplizierung durch die Szenerie bedürften.
Er setzt die Figuren punktgenau in die zweckmäßig schlichte, doch stimmungsvolle Bühne Cordelia Matthes'. So kann die Handlung durch die Musik atmen - das Publikum sitzt und lauscht spürbar gebannt. Die Darsteller nutzen den Raum zum Agieren, sie schaffen es sogar, den sämtlich rettungslos überspannten Figuren Stirndbergs jene Natürlichkeit zu sichern, die das Ganze erst recht gespenstisch macht.
Ob die Mumie der Frau Oberst (Karin Goltz) einen Papagei imitiert oder, plötzlich ganz hellsichtig, ihren Exgeliebten malträtiert; ob dieser (Hans Gröning) den souveränen Drahtzieher menschlicher Tragödien mimt oder von der Erkenntnis seiner eigenen Bösartigkeit in die Knie gezwungen wird: In solch stimmigem Gesamtbild haben auch stimmliche Gewaltakte, wie sie der Student Arkenholz (Alexander Mayr) zu absolvieren hat, ihren glaubwürdig-notwendigen Platz. Vor allem wird der Zuschauer und -hörer der Falschheit jener duftigen Illusion gewahr, die von der morbiden Schönheit des letzten Bildes ausgeht: Arkenholz muss aus diesem Scheinidyll fliehen, um nicht unterzugehen.
Aribert Reimann durfte sich höchstselbst nach der gelungenen Premiere für lang anhaltenden Applaus bedanken.