Symphonie Nr. 9

  • Andante comodo
  • im Tempo eines gemächlichen Ländlers
  • Rondo-Burleske. Allegro assai
  • Adagio. Sehr langsam
  • Da Mahler die Nummer 9 auf dem Titelblatt seines Lieds von der Erde ausgestrichen hat, bildet die in D-Dur beginnende, in Des-Dur endende Symphonie aus den Jahren 1909/10 die seit Beethoven schicksalhafte »Neunte« - der Aberglaube hat Mahler nicht vor dem Schicksal bewahrt. Der nicht minder abergläubische Arnold Schönberg, der vom Saulus zum Paulus geworden war und vom Mahler-Verächter zum treuen Gefolgsmann des Komponisten, formulierte es in seiner Gedenkrede so:

    Es scheint, die Neunte ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muß fort ... als ob uns in der Zehnten etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sollen. Wofür wir noch nicht reif sind. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe. Vielleicht wären die Rätsel dieser Welt gelöst, wenn einer von denen, die sie wissen, die Zehnte schriebe. Aber das soll wohl nicht so sein.

    Gehalt

    Die Tatsache, daß Mahlers Neunte mit ihrem langsam verklingenden Schluß eine Abschieds-Symphonie ist, kann nicht geleugnet werden. Ebensowenig aber auch, daß er danach mit den Arbeiten zu einer Zehnten begann, die er allerdings nicht vollenden konnte. Wie in der Siebenten, die nach den scheinbar vernichtenden Hammerschlägen der Sechsten eine Art »Wiederaufersthung« zelebriert, sollte wohl auch die Zehnte den »Abschied« der Neunten transzendieren.

    Der Aussage des einzelnen Werks tut das freilich keinen Abbruch: Die Neunte wandert von den von Sehnsuchtsklängen ausgehenden Lebensstürmen des ersten Satzes, über höchst irdisches Treiben im von Ländler- und Walzerklängen durchzogenen Scherzo und ein Pandämonium des Rondos in die Regionen überirdischer Abgeschiedenheit. Nicht umsonst zitiert Mahler im Adagio-Finale die Zeile
    Der Tag ist schön auf jenen Höh’n
    aus den Kindertotenliedern. Auch sonst klingen Fragmente aus früheren Werken herein: Im Finale das
    Je lieber möcht’ ich im Himmel sein
    aus dem schon in der Zweiten Symphonie verwendeten Wunderhorn-Lied Urlicht, und im Hauptthema des ersten Satzes das » Ewig, ewig . . . mit dem das unmittelbare Vorgängerwerk, Das Lied von der Erde geendet hatte.

    Vorbild Tschaikowsky

    Nicht zu leugnen ist die Verwandtschaft des Werks mit Tschaikowskys Pathétique, deren originelle Paraphrase der klassischen viersätzigen Symphonie Mahler aufnimmt. Doch die Verwandtschaft geht weiter: Die groß angelegte Steigerung im ersten Satz der Symphonie wie auch der unmittelbar folgende, jähe Zusammenbruch ist präzis nach dem Muster in Tschaikowskys Final-Satz gearbeitet.

    Aufnahmen

    Von Mahlers Neunter existiert eine sehr frühe Aufnahme durch die Wiener Philharmoniker unter Bruno Walter - entstanden etwa ein Vierteljahrhundert nach der posthumen Uraufführung des Werks durch eben diese Künstler-Partnerschaft. (Warner) Sie darf, wie alle Mahler-Dokumente, die uns von Walter erhalten geblieben sind, besonderen Rang in der Diskographie beanspruchen, war doch der Dirigent als Assistent und Kollege eng mit dem Komponisten verbunden. In Stereo hat Walter die Symphonie später im amerikanischen Exil noch einmal aufgenommen, eine Einspielung, die auch aufnahmetechnisch vollkommen zufriedenstellend ist, den leidenschaftlichen Ton der Erstaufanhme aber etwas zähmt. (Sony) Dennoch ist Walters Darstellung der Partitur auch in späten Jahren noch aufwühlender, existentieller als die meistern jüngeren Wiedergaben.

    Anrührend - und technisch auf allerhöchstem Niveau - bleibt Herbert von Karajans späte Auseinandersetzung mit dieser Partitur. Karajan hat spät zu Mahler gefunden, die Aufführungen der Neunten in den frühen Achtzigerjahren aber galten als Sternstunden erfüllten, innigen Musizierens. wie sehr Orchester und Dirigent sich in diese Musik einfühlen konnte, beweist die Tatsache, daß man nach der brillanten Studio-Aufnahme und den folgenden Erfahrungen, die man mit dem Werk im Konzertsaal machen konnte, in Berlin noch einmal vor Mikrophonen musizierte, um die immens gereifte Interpretation festzuhalten - in den melodischen Bögen des Final-Adagios scheint nun tatsächlich die Zeit stillzustehen und der Fortissimo-Höhepunkt schnürt dem Hörer auch bei der CD-Wiedergabe die Kehle zu. Wer die im Nichts verklingenden Schlußtakte live hören durfte, wird das Erlebnis nie mehr vergessen . . . (DG)

    ↑DA CAPO