Symphonie Nr. 8 Es-Dur

»Symphonie der Tausend«

  • Pfingshymnus: »Veni creator spiritus«
  • Schlußszene aus Goethes »Faust II«

  • Die Uraufführung seiner ehrgeizigsten - und ungwöhnlichsten - Symphonie im Jahr 1910 in München bescherte Gustav Mahler den größten Triumph seines Lebens.

    Plakat zur Uraufführung



    I. Pfingsthymnus

    Veni, creator Spiritus,
    mentes tuorum visita:
    imple superna gratia,
    quae tu creasti pectora.

    Qui diceris Paraclitus,
    donum Dei altissimi,
    fons vivus, ignis, caritas
    et spiritalis unctio.

    Tu septiformis munere,
    dextrae Dei tu digitus,
    tu rite promissum Patris
    sermone ditans guttura.

    Accende lumen sensibus,
    infunde amorem cordibus,
    infirma nostri corporis
    virtute firmans perpeti.
    Hostem repellas longius
    pacemque dones protinus;
    ductore sic te praevio
    vitemus omne noxium.

    Per te sciamus da Patrem
    noscamus atque Filium,
    te utriusque Spiritum
    credamus omni tempore.



    Goethe: »Faust II«
    Schlußszene


    Bergschluchten

    Wald, Fels, Einöde.
    Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften.


    CHOR UND ECHO.
    Waldung, sie schwankt heran,
    Felsen, sie lasten dran,
    Wurzeln, sie klammern an,
    Stamm dicht an Stamm hinan.
    Woge nach Woge spritzt,
    Höhle, die tiefste, schützt.
    Löwen, sie schleichen stumm-
    freundlich um uns herum,
    Ehren geweihten Ort,
    Heiligen Liebeshort.

    PATER ECSTATICUS, auf und ab schwebend.
    Ewiger Wonnebrand,
    Glühendes Liebeband,
    Siedender Schmerz der Brust,
    Schäumende Gotteslust.
    Pfeile, durchdringet mich,
    Lanzen, bezwinget mich,
    Keulen, zerschmettert mich,
    Blitze, durchwettert mich!

    Daß ja das Nichtige
    Alles verflüchtige,
    Glänze der Dauerstern,
    Ewiger Liebe Kern.

    PATER PROFUNDUS, tiefe Region.
    Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
    Auf tiefern Abgrund lastend ruht,
    Wie tausend Bäche strahlend fließen
    Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,
    Wie strack mit eignem kräftigen Triebe
    Der Stamm sich in die Lüfte trägt:
    So ist es die allmächtige Liebe,
    Die alles bildet, alles hegt.

    Ist um mich her ein wildes Brausen,
    Als wogte Wald und Felsengrund,
    Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,
    Die Wasserfülle sich zum Schlund,
    Berufen, gleich das Tal zu wässern;
    Der Blitz, der flammend niederschlug,
    Die Atmosphäre zu verbessern,
    Die Gift und Dunst im Busen trug –

    Sind Liebesboten, sie verkünden,
    Was ewig schaffend uns umwallt.
    Mein Innres mög' es auch entzünden,
    Wo sich der Geist, verworren, kalt,

    Verquält in stumpfer Sinne Schranken,
    Scharfangeschloßnem Kettenschmerz.
    O Gott! beschwichtige die Gedanken,
    Erleuchte mein bedürftig Herz!

    PATER SERAPHICUS, mittlere Region.
    Welch ein Morgenwölkchen schwebet
    Durch der Tannen schwankend Haar!
    Ahn' ich, was im Innern lebet?
    Es ist junge Geisterschar.

    CHOR SELIGER KNABEN.
    Sag uns, Vater, wo wir wallen,
    Sag uns, Guter, wer wir sind?
    Glücklich sind wir: allen, allen
    Ist das Dasein so gelind.

    PATER SERAPHICUS.
    Knaben! Mitternachts-Geborne,
    Halb erschlossen Geist und Sinn,
    Für die Eltern gleich Verlorne,
    Für die Engel zum Gewinn.
    Daß ein Liebender zugegen,
    Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
    Doch von schroffen Erdewegen,
    Glückliche! habt ihr keine Spur.
    Steigt herab in meiner Augen
    Welt- und erdgemäß Organ,
    Könnt sie als die euern brauchen,
    Schaut euch diese Gegend an!

    Er nimmt sie in sich.
    Das sind Bäume, das sind Felsen,
    Wasserstrom, der abgestürzt
    Und mit ungeheurem Wälzen
    Sich den steilen Weg verkürzt.

    SELIGE KNABEN, von innen.
    Das ist mächtig anzuschauen,
    Doch zu düster ist der Ort,
    Schüttelt uns mit Schreck und Grauen.
    Edler, Guter, laß uns fort!

    PATER SERAPHICUS.
    Steigt hinan zu höherm Kreise,
    Wachset immer unvermerkt,
    Wie, nach ewig reiner Weise,
    Gottes Gegenwart verstärkt.
    Denn das ist der Geister Nahrung,
    Die im freisten Äther waltet:
    Ewigen Liebens Offenbarung,
    Die zur Seligkeit entfaltet.

    CHOR SELIGER KNABEN um die höchsten Gipfel kreisend.

    Hände verschlinget
    Freudig zum Ringverein,
    Regt euch und singet
    Heil'ge Gefühle drein!
    Göttlich belehret,
    Dürft ihr vertrauen;

    Den ihr verehret,
    Werdet ihr schauen.

    ENGEL schwebend in der höheren Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend.

    Gerettet ist das edle Glied
    Der Geisterwelt vom Bösen,
    Wer immer strebend sich bemüht,
    Den können wir erlösen.
    Und hat an ihm die Liebe gar
    Von oben teilgenommen,
    Begegnet ihm die selige Schar
    Mit herzlichem Willkommen.

    DIE JÜNGEREN ENGEL.
    Jene Rosen aus den Händen
    Liebend-heiliger Büßerinnen
    Halfen uns den Sieg gewinnen,
    Uns das hohe Werk vollenden,
    Diesen Seelenschatz erbeuten.
    Böse wichen, als wir streuten,
    Teufel flohen, als wir trafen.
    Statt gewohnter Höllenstrafen
    Fühlten Liebesqual die Geister;
    Selbst der alte Satansmeister
    War von spitzer Pein durchdrungen.
    Jauchzet auf! es ist gelungen.

    DIE VOLLENDETEREN ENGEL.
    Uns bleibt ein Erdenrest
    Zu tragen peinlich,
    Und wär' er von Asbest,
    Er ist nicht reinlich.
    Wenn starke Geisteskraft

    Die Elemente
    An sich herangerafft,
    Kein Engel trennte
    Geeinte Zwienatur
    Der innigen beiden,
    Die ewige Liebe nur
    Vermag's zu scheiden.

    DIE JÜNGEREN ENGEL.
    Nebelnd um Felsenhöh'
    Spür' ich soeben,
    Regend sich in der Näh',
    Ein Geisterleben.
    Die Wölkchen werden klar,
    Ich seh' bewegte Schar
    Seliger Knaben,
    Los von der Erde Druck,
    Im Kreis gesellt,
    Die sich erlaben
    Am neuen Lenz und Schmuck
    Der Obern Welt.
    Sei er zum Anbeginn,
    Steigendem Vollgewinn
    Diesen gesellt!

    DIE SELIGEN KNABEN.
    Freudig empfangen wir
    Diesen im Puppenstand;
    Also erlangen wir
    Englisches Unterpfand.
    Löset die Flocken los,
    Die ihn umgeben!

    Schon ist er schön und groß
    Von heiligem Leben.

    DOCTOR MARIANUS, in der höchsten, reinlichsten Zelle.

    Hier ist die Aussicht frei,
    Der Geist erhoben.
    Dort ziehen Fraun vorbei,
    Schwebend nach oben.
    Die Herrliche mitteninn
    |Im Sternenkranze,
    Die Himmelskönigin,
    Ich seh's am Glanze.
    Entzückt. Höchste Herrscherin der Welt!
    Lasse mich im blauen,
    Ausgespannten Himmelszelt
    Dein Geheimnis schauen.
    Billige, was des Mannes Brust
    Ernst und zart beweget
    Und mit heiliger Liebeslust
    Dir entgegenträget.
    Unbezwinglich unser Mut,
    Wenn du hehr gebietest;
    Plötzlich mildert sich die Glut,
    Wie du uns befriedest.
    Jungfrau, rein im schönsten Sinn,
    Mutter, Ehren würdig,
    Uns erwählte Königin,
    Göttern ebenbürtig.

    Um sie verschlingen
    Sich leichte Wölkchen,
    Sind Büßerinnen,
    Ein zartes Völkchen,
    Um Ihre Kniee

    Den Äther schlürfend, Gnade bedürfend.

    Dir, der Unberührbaren,
    Ist es nicht benommen,
    Daß die leicht Verführbaren
    Traulich zu dir kommen.

    In die Schwachheit hingerafft,
    Sind sie schwer zu retten;

    Wer zerreißt aus eigner Kraft
    Der Gelüste Ketten?
    Wie entgleitet schnell der Fuß
    Schiefem, glattem Boden?
    Wen betört nicht Blick und Gruß,
    Schmeichelhafter Odem?

    Mater gloriosa schwebt einher.

    CHOR DER BÜSSERINNEN.
    Du schwebst zu Höhen
    Der ewigen Reiche,
    Vernimm das Flehen,
    Du Ohnegleiche,
    Du Gnadenreiche!

    MAGNA PECCATRIX. (St. Lucae VII, 36)
    Bei der Liebe, die den Füßen
    Deines gottverklärten Sohnes
    Tränen ließ zum Balsam fließen,
    Trotz des Pharisäerhohnes;
    Beim Gefäße, das so reichlich
    Tropfte Wohlgeruch hernieder,
    Bei den Locken, die so weichlich
    Trockneten die heil'gen Glieder –

    MULIER SAMARITANA. (St. Joh. IV.)
    Bei dem Bronn, zu dem schon weiland
    Abram ließ die Herde führen,
    Bei dem Eimer, der dem Heiland
    Kühl die Lippe durft' berühren;
    Bei der reinen, reichen Quelle,

    Die nun dorther sich ergießet,
    Überflüssig, ewig helle
    Rings durch alle Welten fließet –

    MARIA AEGYPTIACA. Acta Sanctorum.
    Bei dem hochgeweihten Orte,
    Wo den Herrn man niederließ,
    Bei dem Arm, der von der Pforte
    Warnend mich zurücke stieß;
    Bei der vierzigjährigen Buße,
    Der ich treu in Wüsten blieb,
    Bei dem seligen Scheidegruße,
    Den im Sand ich niederschrieb –

    ZU DREI.
    Die du großen Sünderinnen
    Deine Nähe nicht verweigerst
    Und ein büßendes Gewinnen
    In die Ewigkeiten steigerst,
    Gönn auch dieser guten Seele,
    Die sich einmal nur vergessen,
    Die nicht ahnte, daß sie fehle,
    Dein Verzeihen angemessen!

    UNA POENITENTIUM, sonst Gretchen genannt.
    Sich anschmiegend.

    Neige, neige,
    Du Ohnegleiche,
    Du Strahlenreiche,
    Dein Antlitz gnädig meinem Glück!
    Der früh Geliebte,
    Nicht mehr Getrübte,
    Er kommt zurück.

    SELIGE KNABEN in Kreisbewegung sich nähernd.
    Er überwächst uns schon
    An mächtigen Gliedern,
    Wird treuer Pflege Lohn
    Reichlich erwidern.
    Wir wurden früh entfernt
    Von Lebechören;
    Doch dieser hat gelernt,
    Er wird uns lehren.

    DIE EINE BÜSSERIN, sonst Gretchen genannt.
    Vom edlen Geisterchor umgeben,
    Wird sich der Neue kaum gewahr,
    Er ahnet kaum das frische Leben,
    So gleicht er schon der heiligen Schar.
    Sieh, wie er jedem Erdenbande
    Der alten Hülle sich entrafft
    Und aus ätherischem Gewande
    Hervortritt erste Jugendkraft.
    Vergönne mir, ihn zu belehren,
    Noch blendet ihn der neue Tag.

    MATER GLORIOSA.
    Komm! hebe dich zu höhern Sphären!
    Wenn er dich ahnet, folgt er nach.

    DOCTOR MARIANUS, auf dem Angesicht anbetend.
    Blicket auf zum Retterblick,
    Alle reuig Zarten,
    Euch zu seligem Geschick
    Dankend umzuarten.
    Werde jeder beßre Sinn
    Dir zum Dienst erbötig;
    Jungfrau, Mutter, Königin,
    Göttin, bleibe gnädig!

    CHORUS MYSTICUS.
    Alles Vergängliche
    Ist nur ein Gleichnis;
    Das Unzulängliche,
    Hier wird's Ereignis;
    Das Unbeschreibliche,
    Hier ist's getan;
    Das Ewig-Weibliche
    Zieht uns hinan.



    ↑DA CAPO