Symphonie Nr. 4 G-Dur
Die Symphonie entstand 1899/1900 - wie üblich in den Sommermonaten, wenn sich Mahler als Wiener Hofoperndirektor die gewohnte Pause gönnte und sich zum Komponieren zurückziehen konnte.
Daß die Symphonie mit dem Wunderhornlied Das himmlische Leben enden würde, stand bereits bei Beginn der Arbeit fest. Das Lied sollte ursprünglich das Finale der Dritten Symphonie bilden, wurde aber dann aus dem dramaturgischen Plan ausgeschieden und wurde so zur Keimzelle der Vierten. Es war bereits 1892 entstanden, etwa gleichzeitig mit der Arbeit an der Auferstehungssymphonie.
In ersten Entwürfen sollte die vierte weitere Lieder umfassen und insgesamt, wie das Vorgängerstück, aus sechs Sätzen bestehen. Sie wurde dann Mahlers kürzeste Symphonie und die mit der kleinsten Orchesterbesetzung.
Dennoch geht die Bewertung als vergleichsweise »leichtgewichtiges« Werk zwischen den »großen Brocken« der vorangegangenen und der folgenden Symphonien fehl. Die scheinbar idyllische Grundstimmung der Vierten übertüncht den höchst ambivalenten, hinter- ja oft abgründigen Sinn der Musik. Schon ein Blick auf den zum Teil ziemlich brutalen Lied-Text mit seinen Anspielungen auf biblische Grausamkeiten könnte den Betrachter eines besseren belehren. Auch ist muß der Pianissimo-Schluß der Symphonie durchaus nicht als verklärend-positives Ende gehört werden, eher als nachdenklich »offener« Schluß - bemerkenswert ist, daß dies Mahlers erste Symphonie ist, in der kein Grundton als tonale Achse festgehalten wird: Nach einigen Takten in h-Moll stehen der erste und dann auch der dritte Satz in G-Dur, das Scherzo, in dem Gevatter Tod mit einer »verstimmten« Fiedel zum Tanz aufspielt steht in c-Moll - und das Finale endet in E-Dur - daran würde wiederum (sofern man eine werkübergreifende Dramaturgie bei Mahler annehmen möchte) der »Trauermarsch« in cis-Moll, mit dem die folgende Fünfte Symphonie beginnt, tonal logisch anschließen. Das Trompetensignal dieses »Trauermarsches« der Fünften klingt übrigens in der Durchführung des ersten Satzes der Vierten bereits an!
In diesem Sinne ist auch Mahlers warnende Bemerkung über sein Werk zu verstehen, derzufolge die Symphonie
...beginnt, als ob sie nicht bis drei zählen könnte, dann aber geht es gleich ins große Einmaleins und zuletzt wird schwindelnd mit Millionen und aber Millionen gerechnet...
Daß immer wieder Themen anklingen, die wie Kinderlieder klingen, daß im dramaturgischen Plan der Dritten der Finalsatz den Titel »Was mir das Kind erzählt« bekommen sollte, trägt weiter bei zur Verniedlichung eines Werks, das tiefer lotet, als es zunächst den Anschein haben will.
Gesangstext
Das himmlische Leben
Wir genießen die himmlischen Freuden,
Drum tun wir das Irdische meiden,
Kein weltlich Getümmel
Hört man nicht im Himmel!
Lebt alles in sanftester Ruh'!
Wir führen ein englisches Leben!
Sind dennoch ganz lustig daneben!
Wir tanzen und springen,
Wir hüpfen und singen!
Sankt Peter im Himmel sieht zu!
Johannes das Lämmlein auslasset,
Der Metzger Herodes drauf passet!
Wir führen ein geduldig's,
Unschuldig's, geduldig's,
Ein liebliches Lämmlein zu Tod!
Sankt Lucas den Ochsen tät schlachten
Ohn' einig's Bedenken und Achten,
Der Wein kost' kein Heller
Im himmlischen Keller,
Die Englein, die backen das Brot.
Gut' Kräuter von allerhand Arten,
Die wachsen im himmlischen Garten!
Gut' Spargel, Fisolen
Und was wir nur wollen!
Ganze Schüsseln voll sind uns bereit!
Gut Äpfel, gut' Birn' und gut' Trauben!
Die Gärtner, die alles erlauben!
Willst Rehbock, willst Hasen,
Auf offener Straßen
Sie laufen herbei!
Sollt' ein Fasttag etwa kommen,
Alle Fische gleich mit Freuden angeschwommen!
Dort läuft schon Sankt Peter
Mit Netz und mit Köder
Zum himmlischen Weiher hinein.
Sankt Martha die Köchin muß sein.
Kein' Musik ist ja nicht auf Erden,
Die uns'rer verglichen kann werden.
Elftausend Jungfrauen
Zu tanzen sich trauen!
Sankt Ursula selbst dazu lacht!
Cäcilia mit ihren Verwandten
Sind treffliche Hofmusikanten!
Die englischen Stimmen
Ermuntern die Sinnen,
Daß alles für Freuden erwacht
Aufnahmen
Von den zahllosen Aufnahmen, die seit Beginn der Mahler-Renaissance in den Siebzigerjahren gemacht wurden, reicht keine an die großen Vorbilder heran: Die noch von Mahler selbst angeleiteten Dirigenten Bruno Walter und Willem Mengelberg führen in ihren Einspielungen die Tradition des dirigierenden Komponisten weiter. Vor allem die Einspielung Mengelbergs ist höchst aufschlußreich in Fragen der Phrasierung, der Tempodramatgurgie, die zum Teil extreme und für heutige Ohren höchst ungewohnte Ergebnisse erzielt - bei fabelhaft differenziertem Orchesterspiel der Amsterdamer Concergebouw-Musiker. Wer mitreden möchte, muß das gehört haben. Es verschieben sich die Perspektiven!