Haubenstock Ramaits Lehrer

Józef KOFFLER

1896 - 1944


In der Avantgarde der Nachkriegsgeschichte haben die Polen dank Krzysztof Penderecki und Witold Lutosławski eine herausragende Stellung eingenommen. Dieser Satz könnte auch für die Zeit vor 1945 gelten - doch apern die Beweise dafür erst langsam aus dem vernebelten Archiv der Zeitgeschichte aus.
Die diktatorischen Regime haben in diesem Land mit besonderer Brutalität gehaust. Ein erschütterndes Beispiel dafür liefert eine CD, die 2019 von Deutschlandradio Kultur (bei EDA) herausgebracht wurde und die Musik des Komponisten Józef Koffler enthält.
Interessierten Musikfreunden war der Name ein Begriff, weil Roman Haubenstock-Ramati einst von Koffler als seinem verehrten Lehrer erzählte, ohne daß auch nur ein Werk dieses Mannes auf Schallplatten greifbar war.

Nun kann man ein Klavierkonzert, die Zweite Symphonie, einige Lieder und ein Streichquartett namens Ukrainische Skizzen hören-und entdeckt einen der originellsten Komponisten der Zwischenkriegszeit, der auf eigentümliche Weise zwischen der frechen Musiziergeste des jungen Paul Hindemith und dem strengen Konstruktivismus der Wiener Schönberg-Schule zu vermitteln wusste.

Studium in Wien

Koffler studierte in Wien zunächst pflichtschuldigst Jus, wechselte aber nach zwei Semestern ans Institut für Musikwissenschaft, das damals von Guido Adler und Robert Lach dominiert wurde.
In musikalischer Praxis ließ er sich von Paul Graener and Felix Weingartner unterweisen.
Mit Wiens damaliger Avantgarde kam Koffler zwangsläufg in Berührung. Alban Berg lernte er kennen, mit Schönberg war er in Briefkontakt. Dessen Zwöfltonmethode faszinierte ihn.
In seiner Dissertation befasste er sich freiklich mit der "orchestralen Koloristik in den symphonischen Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy". Und das hört man: Es gibt nicht viel Musik aus dieser Epoche, die von einem dermaßen raffinierten und farbenreichen Klangsinn getragen ist-man höre nur, wie sich der Mittelsatz des Klavierkonzerts atmosphärisch von den energetisch-tänzerischen Ecksätzen abhebt; da kommt auch ein schönes Stück Impressionismus ins polystilistische Spiel.
Und doch bestechen die Stücke durch Kofflers formenden Handwerkergeist, da gibt es keine Leerläufe und auch keine Sackgassen. Die Werke gehorchen spürbar einem klar geordneten Plan. Wer den exzellenten Begleittext liest, der von ersten Erfolgen bis zum tragischen Tod des Komponisten 1944 führt, erfährt, wie dieser genial begabte Mann unter die Räder sämtlicher "Systeme" und Kunstdogmatiken kam.
Ins Ghetto verschleppt von den NS-Schergen, verliert sich Kofflers Spur. Wann und wo genau er umgekommen ist, ist nicht dokumentiert. Das letzte Zeugnis stammt von einem Nachbarn, der die Verhaftung der Familie durch die Gestapo mitverfolgte:

Ich erinnere mich daran, wie die Gestapo sie holen kam, angeführt von dem ältesten, (...)sie umstellten das Haus, fingen sie ein und führten sie wie Verbrecher ab; und sie gingen mit und weinten sehr, denn sie ahnten sicher, was sie erwartet. Was weiter mit ihnen geschehen ist, weiß ich nicht.

Unterdrückung und Ausgrenzung hatte - auch in künstlerischer Hinsicht - bereits vor dem Einmarsch der Hitler-Truppen begonnen. Die polnische Musikkritiker verfolgte "Polens ersten Dodekaphonisten" haßerfüllt. Mit der Machtübernahme durch die Truppen Stalins war nun jeglicher Avantgardismus verboten. Koffler zollte der neuen Zeit durch die Komposition einer "Fröhlichen Ouvertüre" seinen Tribut und suchte dann nach Möglichkeiten einer vernünftigen Betätigung unter den neuen Bedingungen.

unter dem sowjetstern

Nach der heftigen Kritik durch den sowjetischen Komponistenverband, der jeglicher Kunst ein vaterländisch-volksnahes Mäntelchen zu verpassen sucht, galt es die Balance zu finden. Berührend, wie KOffler in seinem späten Streichquartett ukrainische Volksmusik gekonnt zu anspruchsvollen Quartettsätzen verarbeitet wird, ohne daß er seine eigene Handschrift wirklich verleugnen müßte.


Die CD ist dank der engagierten Interpreten eine gelungene Hommage geworden. Exzellent Christoph Slowinski, der nicht nur dirigiert, sondern auch die Mezzosopranistin Fredrika Brillembourg bei deutschen und französischen Liedern begleitet.

Das Beiheft enthält einen blendend recherchierten und profunden biographischen und musikalisch analytischen Text aus der Feder von Frank Harders-Wuthenow, dem natürlich auch der Text auf dieser Seite das meiste verdankt. → (EDA)