Die tote Stadt
Vom Welterfolg zum Ladenhüter - und zurück
Wiederbelebungsversuch hat es den einen oder anderen gegeben. Doch erst Anfang des neuen Jahrtausends war die Zeit wirklich reif: Die Salzburger Festspiele-Premiere der Toten Stadt war - in Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper - die wichtigste Station einer auch im Konzertsaal allseits vorangetriebenen Ehrenrettung des Komponisten Erich Wolfgang Korngold.
Der durchschlagende Erfolg des Remakes von Korngolds einstiger Opern-Sensation ging nicht zuletzt auch auf das Konto des zum Beginn Regisseurs, dem nach der Salzburger Premiere der demonstrative Applaus des Publikums galt.
Eines Publikums, das es satt hatte, nur noch Inszenierungen zu sehen, in denen nichts so abläuft, wie es im Textbuch geschrieben steht.
Willy Decker aber hatte bei Wolfgang Gussmann ein Bühnenbild für die Tote Stadt bestellt, das aussah wie ein Bühnenbild für die Tote Stadt. Decker inszeniert darin ein Stück, das „Die tote Stadt“ heißt.
Und er tat es so, daß der Zuschauer Punkt für Punkt das Stück Tote Stadt erkennen konnte: Die Alpträume, mit denen sich der arme Paul von seiner nekrophilen Leidenschaft für die verstorbene Marie befreit - es ist sichtbar gewordene Trauerarbeit sozusagen, von ganze Gruppen von Pierrots umtanzt. Freund Frank wandelt sich im Alp zum bösen Gesellen, klettert auf den Dächern der toten Stadt Brügge herum.
Vision und Wirklichkeit verfließen, zwischen Sein und Schein kann man sich der Sogwirkung von Korngolds Musik hingeben.
Die gehört zum Suggestivsten, das die Moderne neben Richard Strauss hervorgebracht hat, und steht nur zum Teil sozusagen im Widerspruch zur damals, 1920, bereits obsessiven „Neuen Musik“.
Zwischen Lehár und Strawinsky
Denn Korngolds genialer Jugendstreich - der Komponist war Anfang 20, als er die überreiche Partitur instrumentierte - steckt ein bemerkenswert rutschfestes Territorium zwischen Lehár, Strauss und Strawinsky ab. Ja, auch Letzterer lugt in manch eckig harmonisierter, schroff tönender Passage um die Ecke.
Das
ungenierte (und dabei erstaunlich konsistente) Pendeln zwischen herber Dissonanz und süffigem Operetten-Ton macht die Unverwechselbarkeit von Korngolds eigener Sprache aus. Sie wurde mit ihren glockenspielblitzenden, harfenumflorten Rauschklängen später zum Synonym für Hollywood- Soundtracks, was nichts gegen ihre Brauchbarkeit für die Opernbühne besagt.
Im Gegenteil: Die schlafwandlerische Sicherheit, mit der dieser Komponist im rechten Moment auf die Tränendrüse drückt, mit der er frech innehält, um einen Schlager zu platzieren, sichert der Toten Stadt bis heute den Erfolg. „Glück, das mir verblieb“, der Evergreen, kommt zum Finale noch einmal.
Weil's so schön ist, weil's wahr ist und wirklich wirkt.
Fast ebenso ungeniert hat ja Richard Strauss agiert. Nur verweigert er den „schönen Stellen“ inmitten seiner Opern die Applaus fördernden Schlusskadenzen, zumindest in der Zeit vor „Arabella".
Anders Korngold. Nach Nummern wie dem Walzerlied des Pierrot, „Mein Sehnen, mein Wähnen“ können geübte Stehplatzbesucher mühelos den Applaus „durchbringen“ - oder, sagen wir besser: sie konnten es zu Korngolds Zeiten...
Die Produktion aus Salzburg wurde im Dezember 2004 ins Repertoire der Wiener Staatsoper übernommen. ↓
Sie war doch nur scheintot
Wie Erich Wolfgang Korngolds einstiger Sensationserfolg Die tote Stadt zum Repertoirestück wird.
Wiederbelebungsversuche startet man seit geraumer Zeit mit vielen Werken, die unter der Ära des Nationalsozialismus als „entartet" verboten waren und dann nach 1945 den Weg zurück in die Opernhäuser und Konzertsäle nicht mehr schaffen wollten.
Erich Wolfgang Korngold war einer jener Komponisten, die besonders darunter zu leiden hatten. Anders als etwa Franz Schreker, der 1934 gestorben war, musste er nach dem Krieg miterleben, wie das Publikum, das einst seinen Kompositionen zugejubelt hatte, plötzlich verständnislos reagierte; schlimmer noch: gleichgültig.
Korngolds schwere Hypothek: Der Film
Weil es ihm gelungen war, im amerikanischen Exil in der Filmbranche zu reüssieren und den typischen Hollywood-Sound regelrecht zu erfinden - indem er schlicht seine wienerische Fin-de-siècle-Kunst in die USA transferierte -, urteilten die strengen Richter der Moderne im Alten Europa den Heimkehrer als ewiggestrigen Romantiker ab, der nicht einsah, dass nach Schönberg und seiner Schule keine C-Dur-, nicht einmal Fis-Dur-Dreiklänge mehr erlaubt sein sollten.
Befreiungsschlag: Postmoderne
Es bedurfte des Befreiungsschlags der so genannten Postmoderne, um den Blick freizumachen auf die Tatsache, daß die Moderne, grob gesprochen, nicht nur aus der Zwölftönerei bestand, sondern ein reicher Humus war, aus dem unterschiedlichste Klangwelten erblühen konnten. Die schillerndste, weil besonders leuchtkräftig orchestrierte, war sicher jene von Korngold.
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Die Tote Stadt darf überdies als einer der wenigen gelungenen Versuche gelten, die Errungenschaften der eben erfundenen Psychoanalyse aufs künstlerische Parkett zu transferieren.
Das an Georges Rodenbachs einst viel gelesenem „Bruges la Morte" angelehnte Libretto stammt aus der Feder des Komponisten und seines Vaters, des berühmten Kritikers der „Neuen freien Presse", Julius Korngold. Es behandelt, kurz gesagt, die Trauerarbeit eines Mannes, Paul, der ein Ebenbild seiner verstorbenen, geliebten Frau Marie entdeckt, die Tänzerin Marietta. Ein Alptraum, in dem er all seine Beziehungs-Verstrickungen neu durchlebt, gipfelt im Mord an Marietta. Wieder erwacht, beschließt Paul, das Mädchen nie wieder zu sehen und sich vom Totenkult wieder dem Leben zuzuwenden, Brügge, die Tote Stadt, zu verlassen.
Musik um zwei "Schlagermelodien"
Korngolds Musik suggeriert uns die Seelenqualen, die Euphorien und hysterischen Ausbrüche allesamt aufs intensivste.
Sie ist zudem rund um zwei Melodien komponiert, die Marcel Prawy einst zu Recht die letzten Schlager der Opernliteratur genannt hat: „Glück, das mir verblieb“ und das Walzerlied „Mein Sehnen, mein Wähnen“.
Diese Mixtur aus beinahe an Lehár erinnerndem, populärem Ton und avancierter harmonischer und instrumentaler Technik macht den Reiz der Partitur aus. Und hebt das Werk, weil es perfekt gemacht ist, über die meisten Artgenossen jener Jahre hinaus. Deshalb kann bei der Toten Stadt von keinem Wiederbelebungsversuch die Rede sein.
Die Übernahme von den Salzburger Festspielen, die die Staatsoper nun zeigt, ist bereits die dritte Neuinszenierung in Wien seit 1945.
Das Stück ist also längst ins Repertoire zurückgekehrt. - Es ist freilich dort schwer aufzuführen.
Das war zuletzt im Festspielhaus zu hören. Das hat sich in Wien nicht geändert, auch weil Stephen Gould die heldische Partie des Paul zwar ein wenig kräftiger - aber beinahe so angestrengt klingend - singt als Torsten Kerl, dafür aber weniger intensiv zu spielen weiß.
Dieses Manko lässt die kluge, in Bühnenbildern von Wolfgang Gussmann vorsichtig gestellte, getreulich am Libretto orientierte Inszenierung Willy Deckers gleich ein wenig hausbacken aussehen. Denn diesmal agiert nur Angela Denoke als Marietta mit jenem Impetus, der Figuren plastisch werden lässt, der das Temperament der Tänzerin und die verzerrten Fratzen der Traumfigur glaubwürdig macht.
Da verzeiht man der Sopranistin wohl, dass sie sich für Korngold ein wenig über ihre stimmlichen Möglichkeiten hinauswagt. Um die faszinierende Rolle gestalten zu dürfen, nimmt sie manch forcierten Ton - namentlich im dritten Akt - in Kauf, was
im Duett mit Paul manch allzu steife Zusammenklänge provoziert.
Vorsicht bremst die Emotionen
Den Schöngesang pflegt hingegen Bo Skovhus in der Doppelrolle Frank/Fritz. Sein schmiegsamer Bariton geht freilich in den Wogen von Korngolds vielfarbig schillerndem Orchester unter.
Und das obwohl Donald Runnicles am Pult versucht, die Philharmoniker so behutsam aufspielen zu lassen, wie das bei dem in sich so bewegten Notenbild überhaupt möglich ist. Da klingen allerdings manch betörend schöne Klangmischungen und farbig- prächtige Tableaus. Die fortwährende Zurückhaltung im Dynamischen aber scheint den melodischen Fluss der Stimmen und deren Espressivo des Öfteren zu hemmen.
Trotz
vieler Kürzungen kehrt dann Monotonie ein.
Bleibt zu hoffen, dass sich im Repertoire doch noch durchschlagkräftigere Stimmen finden, so dass vielleicht die ganze Intensität von Korngolds Ausdrucks-Vokabular fühlbar werden kann. Der Applaus nach der ordentlichen, wenn auch gewiss nicht außerordentlichen, der Partitur ganz gerecht werdenden Premiere lehrt: Verschwinden wird dieses Werk vermutlich nicht mehr.