Josef Strauß
1827 - 1870
Der Ingenieur, der zur Musik quasi genötigt worden war, beschwor „Sphärenklänge“ und „Delirien“ im Dreivierteltakt und dirigierte zündende Offenbach'sche Operettenklänge so gern wie Wagners „Tristan“.
Josef Strauß?
Man weiß, der mittlere der Wiener Walzer-Brüder war studierter Ingenieur und vom älteren Johann, dem „Walzerkönig“, quasi zur Musik genötigt worden. 1853 musste er als Einspringer die Strauß-Kapelle leiten. Es war die Ära des mühsamen Aufschwungs nach der Revolution. Aber das Geschäft mit dem Dreivierteltakt war schon einträglich.
Auch wenn er damals auf dem Hernalser Kirtag seinen Walzer „Die Ersten und Letzten“ nannte – es blieb nicht dabei. Das Debütstück musste bei der Uraufführung sechsmal wiederholt werden. Grandiose, feinsinnig instrumentierte Tongemälde wie die „Delirien“, die „Sphärenklänge“, sollten folgen. Und die „Dynamiden“, deren Melodie Richard Strauss (nicht verwandt!) in den berühmten „Rosenkavalier“-Walzer verwandeln würde.
Der geigende Ingenieur
Aber zunächst fiel Josef nicht weiter auf. Bald nach seinem Debüt hatten alle ohnehin nur noch Augen und Ohren für eine Nachricht: Der junge Kaiser hatte sich mit der noch jüngeren Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern, verlobt. Die „Sisi“-Legende lag in den Geburtswehen. Johann Strauß animierte im September schon wieder gewohnt schmissig als Vorgeiger seine Musikanten.
Der Bruder war vorerst noch kein Thema. Wiens oberster Stilhüter Eduard Hanslick sorgte sich vielmehr um „bedenkliche“ Annäherungen von Johanns neuesten Walzern an die musikalische Moderne Marke Liszt und Wagner. Er sprach von „Walzerrequiem“ und konnte nicht ahnen, was der jüngere Bruder des Walzerkönigs im Talon hatte!
Der Sommer 1856 markierte die Zäsur im Leben des gelernten Technikers Josef Strauß. Mittlerweile hatte er sich im Violinspielen so perfektioniert, dass er wie sein Bruder mit der Geige in der Hand vor sein Orchester treten konnte. Johann war erstmals monatelang auf Gastspielreise: Die russische Eisenbahngesellschaft hatte ihn mit immensen Gagen-Angeboten nach Pawlowsk bei St. Petersburg gelockt.
Derweilen formte Josef Strauß in Wien Programme nach seinem Sinn – und der stand nach musikalischer Revolution: Bei den Konzerten im Volksgarten stellte er vor eigenen Walzer- und Polka-Kreationen Franz Liszts Tondichtung „Mazeppa“ und Ausschnitte aus Wagners „Lohengrin“ vor, der für die Musikfreunde der Stadt noch völlig unbekannt war!
2000 Menschen waren gekommen und jubelten. Mitten unter ihnen Franz Liszt, der auch der Uraufführungsdirigent des „Lohengrin“ in Weimar gewesen war – und gerade in Wien weilte, um zum 100. Geburtstag des Komponisten ein Mozart-Fest auszurichten.
Es wiederholte sich, wovon einst Wagner und Hector Berlioz bei vergleichbar „fortschrittlichen“ Konzerten von Johann Strauß Vater geschwärmt hatten: Ein Komponist erlebte die perfekte Wiedergabe seines Werks. Die Strauß-Kapelle war dank akribischer Probenarbeiten das sicherste, das präziseste Orchester der Stadt.
Kein Wunder, dass Josef 1858 erstmals auch zu einem Hofkonzert in Schloss Schönbrunn gebeten wurde; und dass er mit seiner „Kapelle“, die in Wahrheit ein vollwertiges Symphonieorchester war, 1860 im Volksgarten erstmals Ausschnitte aus Wagners „Tristan und Isolde“ präsentieren konnte.
Das Unmögliche wird möglich
„Tristan“!
Das Werk galt damals als „unaufführbar“. Die Hofoper versuchte sich erst zwei Jahre später an dieser Ikone der musikalischen Moderne – und scheiterte kläglich. Der Versuch, die Uraufführung für Wien zu sichern, musste nach 77 Proben abgebrochen werden.
Josef Strauß hatte in der Zwischenzeit nicht nur die Erstaufführung einiger Ausschnitte aus dem Werk dirigiert, sondern 1861 sogar das von ihm erstellte „Tristan“-Arrangement in Anwesenheit von Richard Wagner wiederholt.
Übrigens stand auch Musik von Giuseppe Verdi – von der Kritik nicht minder herablassend behandelt als Wagner – auf den Spielplänen der Strauß'schen Soireen, ebenso natürlich die spritzigen Melodien von Jacques Offenbach, dessen Operetten damals gerade in Johann Nestroys Carltheater das Publikum eroberten. Von Operettenkompositionen waren die „Sträuße“ damals noch weit entfernt.
Was Josef betrifft, kam es überhaupt erst posthum zu theatralischen Anverwandlungen: 1903 hatte die Operette „Frühlingsluft“ Premiere, die Ernst Reiterer nach dem Vorbild des auf Johann-Strauß-Melodien aufbauenden Pasticcios „Wiener Blut“ nach Walzer- und Polka-Themen von Josef Strauß arrangiert hatte.
Die heikle und nicht immer geschmackvolle Praxis, bestehende Melodien zu textieren, feierte in jener Ära fröhliche Urständ. Manche Eingebung von Josef Strauß erlangte Volkslied-Status: „Es muss ein Stück vom Himmel sein“ textete Werner Heymann auf die Musik von „Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust“. Und ein Lied wie „Wann i amal stirb“, das Friedrich Gulda so unvergleichlich interpretiert hat? Kaum jemand weiß, dass der in den Ausgaben als Autor genannte Carl Rieder seinen Text dem Josef-Strauß-Walzer „Flattergeister“ unterlegt hatte . . .
Das war der Gegenpol zu den feinsinnigen Arrangements zeitgenössischer Meisterwerke, die Josef für seine Kapelle anfertigte. Über das Notenarchiv herrschte bald Zwietracht zwischen den Brüdern. Nach Josefs Tod wachte Johanns Ehefrau, Jetty, eifersüchtig über die Schätze, vor allem, um den jüngsten Bruder, Eduard, daran zu hindern, sie zu „plündern“. Dieser hat sich als letzter Überlebender gerächt und das gesamte Material verheizen lassen, um „von zwei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends“ im Lehnstuhl vor dem Ofen sitzend der „Straußdämmerung“ zuzuschauen.
Josef war schon 1870 gestorben. Am Sterbelager der geliebten Mutter war er im Februar dieses Jahres zusammengebrochen, kränkelnd trat er seine letzte Konzertreise an – und stürzte in Warschau vom Podium; so die offizielle Version. Eine andere wurde von den Zeitungen immer wieder verbreitet: Josef Strauß, hieß es da, sei Opfer einer Gruppe betrunkener Offiziere geworden, die von ihm nächtens ein Ständchen forderten. Seine Weigerung hätte man mit einem Fenstersturz quittiert.
Aufgeklärt wurde der Fall nie. Nach offiziellen Berichten hat Bruder Johann den Sterbenden nach Wien geleitet, der am 22. Juli 1870 den Verletzungen erlag.
Seine Witwe führte, trotz untertäniger Bittbriefe der Tochter an Johann Strauß' Gattin, ein Hungerleiderdasein und starb, völlig verarmt, im November 1900 in Hainfeld.
Im Sande verliefen bald alle Bemühungen, Josef, dem sensibelsten der „Sträuße“, ein Denkmal zu setzen. Der rechte Ort war mit dem Volksgarten längst gefunden . . .