Joseph LANNER
Zum 200. Geburtstag - "Die Presse", 2001
Gemeinsam mit Johann Strauß Vater ist er als Begründer der Wiener Unterhaltungsmusik in die Geschichte eingegangen. Am Montag soll bereits die Aufnahme des diesjährigen Neujahrskonzerts auf CD in den Handel kommen. Das von Nikolaus Harnoncourt sehr feinfühlig dirigierte Programm enthält u. a. drei Werke von Joseph Lanner. Damit haben die Philharmoniker den Jahresregenten gebührend gewürdigt, der doch als eine der prägenden Erscheinungen am Beginn der genuin wienerischen „U-Musik” gilt.
Deren Anfänge markieren Kompositionen wie die Ländler und Deutschen Tänze, die auch Großmeister wie Mozart und Beethoven ihren Auftraggebern willig lieferten. Bei Schubert kamen bereits die neumodischen Walzer dazu, anfangs vom Ländler noch kaum zu unterscheiden. Gemeinsam ist all diesen Sammlungen von Tänzen im Dreivierteltakt, daß etliche, meist acht oder sechzehn, hübsche Tänze unverbunden nebeneinander standen und nach Belieben ausgetauscht oder wiederholt werden konnten.
Den Wiener Tanzkapellmeistern des Biedermeier, Joseph Lanner und Johann Strauß Vater, gelang es, nach dem Vorbild von Carl Maria von Webers stilbildendem Klavierzyklus „Aufforderung zum Tanz” die Walzer zu kunstvollen Reihungen mit Introduktionen und Schlußgruppen zu binden. Damit war der Wiener Walzer wirklich geboren. Die frühen Stücke Lanners geben noch ein Abbild der schlichten Aneinanderreihung unverbunden nebeneinander stehender Walzer oder Ländler, wie wir sie auch bei Schubert finden. Bald aber kommen raffinierter austarierte Konfrontationen nach Webers Muster. Die Walzer nehmen symphonische Dimensionen an und beschreiben zuweilen auch regelrechte Bilder. So hörten in der Einleitung zum sogenannten „Dampfwalzer” schon die Zeitgenossen Lanners die damals neuen Dampfmaschinen schnarren. Das war bereits die Hohe Schule der deskriptiven Wiener Tanz- und Konzertmusik.
Seine Lehrzeit hatte Lanner in der Unterhaltungskapelle Michael Pamers absolviert. Dort begann auch ein anderer begabter Bursche seine musikalische Laufbahn: Johann Strauß. Strauß war mit von der Partie, als Lanner sich von den Vorbildern löste und eigene Aktivitäten begann. Das Gespann Lanner & Strauß war geboren. Der „blonde Pepi” und der „schwarze Schani” werden zum Markenzeichen. Einige Jahre sorgen sie gemeinsam für gute Laune bei unzähligen Tanzveranstaltungen in Wirtshäusern und Vergnügungs-Etablissements.
Bald sind sie eine regelrechte musikalische Unternehmung, beschäftigen immer mehr Musikanten und teilen ihr Orchester bei guter Auftragslage sogar auf: Lanner dirigiert eine Hälfte, der „Vizekapellmeister” Strauß auf einer zweiten Abendveranstaltung die andere. Zu komponieren begann Strauß aber zunächst nur aushilfsweise, als Lanner einmal erschöpft vom überlangen Konzert des Vorabends zusammenbricht: „Schauen S', daß Ihnen was einfallt", soll Lanner gesagt haben.
Strauß fiel etwas ein. Die Biographen sollten später an einer märchenhaften Trennungs-Legende weben, die besagt, daß es wegen eines Streits zwischen Lanner und Strauß im „Schwarzen Bock” zu einer Prügelei zwischen den Orchestermusikern gekommen sein soll. Lanner habe daraufhin eigens einen „Trennungswalzer” komponiert. Norbert Linke hat diese wirkungsvolle Story entkräftet: Strauß soll sich vielmehr auf Wunsch seines neuen Schwiegervaters vom Musikantentum für einige Zeit zurückgezogen und unterrichtet haben. Der „Markt", den die Aktivitäten von Musikern wie Michael Pamer, Lanner und Strauß erschlossen hatten, war jedoch mittlerweile groß genug, daß an mehreren guten Kapellen in Wien Bedarf bestand. Der Kontakt zwischen Lanner und Strauß blieb denn auch freundschaftlich, bis Strauß ein eigenes Orchester gründete. 1836 wird beiden Seite an Seite das Wiener Bürgerrecht verliehen.
Während des kurzfristigen Rückzugs von Strauß mag es als Gewißheit gegolten haben, daß Lanner der führende Meister bleiben würde. Spätestens in den Faschingssaisonen von 1827 und 1828, in denen Strauß nachweislich mit eigenem Orchester in Erscheinung trat, erwies sich, daß hier zwei ebenbürtige Künstler an der Herausbildung eines neuen, spezifisch wienerischen musikalischen Genres arbeiten.
Unter den Händen von Lanner und Strauß wurden aus den etwas derben, ungefügen, in der Regel nur aus simplen achttaktigen Melodiefolgen bestehenden Walzerketten anspruchsvollere Kunstwerke, die durch melodische Eleganz und rhythmisches Raffinement bestechen.
Die Wiener nahmen zwar leidenschaftlich Partei, spalteten sich in „Lannerianer” und „Straußianer". Aber es lag an Lanners frühem Tod, zwei Tage nach seinem 42. Geburtstag, und auch daran, daß sein Sohn August, vielleicht so genial begabt wie Johann Strauß junior, in jugendlichem Alter von einer Krankheit dahingerafft wurde, daß die nachmals so berühmte Strauß-Dynastie ihre Herrschaft ungehindert ausbreiten konnte. Lanners Musik blieb ein Geheimtip. An ihrer historischen Bedeutung ändert das nichts.