Schubert und Goethe

Des Dichters Meinung über die
Vertonung seines »Erlkönig«

Von Goethe ist überliefert, daß er zunächst gar keine Freude an Franz Schuberts Vertonung seines Erlkönigs finden konnte. Schubert hatte allzu eigenmächtig die klassische Form seiner Ballade mit ihren Strophen und ihrem charakteristischen Rhythmus in eine dramatische musikalische Szene aufgelöst.
Das Genie in dieser musikalischen Anverwandlung seiner Poesie zu erkennen, gelang dem Dichter erst nach Schuberts Tod. Und es bedurfte einer großen Interpretin, ihm die Größe von Schuberts Komposition zu verdeutlichen.

Eines Tages kündigte man Goethe den Besuch der Sängerin Wilhelmin Schröder-Devrient an, die dem Dichter unter anderem Schuberts Erlkönig vortrug.
Goethe erinnerte sich daran, daß er einst Vertonungen den Vorzug gegeben hatte, die sich sklavisch an seine ästhetischen Maßeinheiten hielten.
Die Interpretation Schröder-Devrients aber belehrte ihn eines bessern: Eduard Genast, der Mann der Pianistin, die Schröder-Devrient bei dieser Gelegenheit begleitet hatte, berichtet:
... obgleich er kein Freund von durchcomponirten Strophenliedern war, so ergriff ihn der hochdramatische Vortrag der unvergleichlichen Wilhelmine so gewaltig, daß er ihr Haupt in beide Hände nahm und sie mit den Worten: »Haben Sie tausend Dank für diese großartige künstlerische Leistung!« auf die Stirn küßte.
Dann fuhr er fort:
»Ich habe diese Composition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das ganze zu einem sichtbaren Bild. Auch Ihnen, meine liebe Frau Genast« – wandte er sich zu meiner Frau – »danke ich für Ihre charakteristische Begleitung.«




↑DA CAPO