Wassili S. Kalinnikow

1866 - 1901

Kalinnikow stammte aus einer kleinen Ortschaft im Gouvernement Orel. Er besuchte das Priesterseminar, um dort bereits als Vierzehnjähriger den Chor zu leiten. 1884 sandte man den so musikalischen Buben ans Moskauer Konservatorium. Schon im Jahr darauf erhielt er ein Stipendium, um an der Musikschule der Moskauer Philharmonie Fagott zu studieren. Parallel dazu erhielt er Tonsatz-Unterricht. 1893, ein Jahr nachdem Kalinnikow seine in Rußland bis heute hochgeschätzte Kantate Johannes von Damaskus vorgelegt hatte, empfahl ihn Peter Iljitsch Tschaikowsky als Dirigent ans »Kleine Theater« in Moskau. Doch schon im ersten Jahr seiner Tätigkeit plagte den Komponisten ein Lungenleiden so sehr, daß er das Dirigieren aufgeben mußte. In der Folge lebte er beinah mittellos und wurde von Freunden zu Kuraufenthalten in Südfrankreich und auf der Krim eingeladen.

Kalinnikows Musik ist eine der späten Blüten der Romantik in Rußland, von Tschaikowsky und - besonders - von Borodin herkommend und nicht im geringsten von der zur Moderne drängenden Schule Rimskij-Korsakows beeinflußt. Seine Melodik basiert auf der russischen Volksmusik, pittoresk in den Tondichtungen Die Nymphen (nach Turgenjew, 1889) und Zeder und Palme (nach Heine, 1898).

Die beiden Symphonien zeigen einen Könner, der die Ansprüche der klassischen Formen ohne jede Überfrachtung mit inhaltlichen, programmatischen Bildern zu erfüllen wußte. Manche Anleihe bei althergebrachten Verarbeitungstechniken - etwa der Ansatz zu einem Fugato im Durchführungsteil des ersten Satzes der Ersten Symphonie (1895) - geriet ihm dank schlichter Attitüde nicht »gelehrig«.

Durch die Motto-artige Wiederaufnahme des Symphonie-Beginns am Anfang des Finalsatzes sorfgt Kalinnikow schon in dieser ersten seiner Symphonien für Zusammenhalt. Die Verwandlungstechnik erscheint auf einem raffinierteren Niveau wieder in der Zweiten Symphonie (A-Dur, 1897), deren Themenmaterial durchwegs auf einen einzigen motivischen Kern zurückgeführt werden kann.

Als außermusikalisches Leitbild seines Schaffens galt Kalinnikow der Wunsch

die Stimmung der russischen Landschaft wiederzugeben, die Turgenjew auf so wunderbare Weise darzustellen vermochte.

Für das Theater schrieb Kalinnikow eine Bühnenmusik zu Alexej Tolostois Zar Boris, die Wladimir Fedosejew von seinem Moskauer Rundfunkorchester vollmundig aufspielen ließ.

Ein Opernversuch, Das Jahr 1812, blieb unvollendet.

In Sowjetzeiten wurde der Komponist Alexander Wassiljewitsch Alexandrow des Plagiats verdächtigt, weil er bei der von ihm komponierten Staatshymne ein Motiv verwendet hatte, das einem Thema aus Kalinnikows 1892 komponierter Ouvertüre Märchen (»Bylna«) stark ähnelte.

Die beiden Symphonien hat Jewgeni Swetlanow mit seinem Staatslichen Symphonieorchester brillant erklingen lassen. (Melodia)


↑DA CAPO