Die erste Walpurgisnacht (op. 60)
Die Anregung zu diesem Werk ging vom alten Dichter selbst aus. Goethe begeisterte sich für den jungen Mendelssohn und schlug ihm vor, sein dramatisches Gedicht zu vertonen, in dem Hexen und Druiden von wütenden Christen auf dem Brocken gejagt werden.
Goethe selbst schildert die Handlung:
... die deutschen Heidenpriester und Altväter, nachdem man sie aus ihren heiligen Hainen vertrieben und das Christentum dem Volke aufgedrungen, sich mit ihren treuen Anhängern auf die wüsten unzugänglichen Gebirge des Harzes im Frühlingsanfang begeben, um dort, nach alter Weise, Gebet und Flamme zu dem gestaltlosen Gott des Himmels und der Erde zu richten. Um nun gegen die aufspürenden bewaffneten Bekehrer sicher zu sein, hätten sie für gut befunden, eine Anzahl der ihrigen zu vermummen, und hierdurch ihre abergläubischen Widersacher entfernt zu halten und, beschützt von Teufelsfratzen, den reinsten Gottesdienst zu vollenden.Goethes musikalischer Intimus Zelter sah sich außerstande, das Gedicht über die »dumpfen Pfaffenchristen« in Musik zu setzen. Der junge Mendelssohn komponierte die Erste Walpurgisnacht tatsächlich noch zu Lebzeiten Goethes, 1831, brachte die engdültige Version aber erst nach kräftigen Überarbeitungen 1843 in Leipzig zur Uraufführung. Von diesem Werk zeigte sich sogar der gegenüber Kollegen stets unnachgiebig strenge Kollege Hector Berlioz begeistert.
Der antichristliche Unterton der Dichtung steht zwar quer zu vielen künstlerischen Bekenntnissen des zum Protestantismus konvertierten Komponisten. Doch trifft Mendelssohn den scharfen, zynischen Tonfall Goethes mit adäquat spitzer musikalischer Feder. Der einleitende Orchestersturm ist vorbildhaft für manches musikalische Gewitter, das folgen sollte - wobei kaum jemand von den Nachfolgern Mendelssohns Vorbildwirkung zugegeben hätte . . .
An den Dichter schrieb der Zwanzigjährige von seiner Italienreise:
Was mich seit einigen Wochen fast ausschließlich beschäftigt, ist die Musik zu dem Gedicht von Eur. Exzellenz, welches die erste Walpurgisnacht heißt. Ich will es mit Orchesterbegleitung als eine Art großer Kantate komponieren. … ich weiß nicht, ob mir's gelingen wird, aber ich fühle, wie groß die Aufgabe ist und mit welcher Sammlung und Ehrfurcht ich sie angreifen muß.Leipziger Gewandhausorchester unter der Leitung von Kurt Masur verschwand bedrückend schnell (ASD3009, 9/74-nla), fantasievoll gepaart mit der Arie "Infelice". Die oben aufgeführte Dohnanyi-Version von Decca, dringend und belastbar mit raffiniertem Spielen und Aufnehmen, ist auf einer Seite zusammengedrückt, was sie zu einer idealen Verbindung für die Chorsinfonie Lobgesang macht. Diese neue Version der Streitkräfte von Ormandy und Philadelphia bietet eine willkommene Alternative für diejenigen, die Lobgesang nicht wollen. Die Kopplung der Hebriden-Ouvertüre ist viel weniger einfallsreich, aber geeignet genug, um mehr Mendelssohn in stürmischer Stimmung zu liefern.
Die Dramatik der Musik kommt am besten zur Wirkung unter der Leitung von Igor Markevitch, dem mit den Wiener Symphonikern, dem Singverein und den Solisten Anton Dermota und Otto Edelmann eine spanungsgeladene Wiedergabe gelang, von der sich ein Livemitschnitt erhalten hat. Der kann technisch nicht annähernd mit späteren Studioproduktionen mithalten, bleibt aber interpretatorisch das beste Angebot.
Von den prominenteren Dirigenten der folgenden Generation liebte Christophe von Dohnányi das Werk und nahme es mit den Wiener Philharmonikern (Decca) und mit dem Cleveland Orchestra (Telarc) auf. Makellosen Studioton hört man auch unter Kurt Masur mit dem Rundfunkchor Leipzig und dem Gewandhausorchester. (Berlin Classics)
↑DA CAPO