Streicher-Symphonien

Felix Mendelssohn-Bartholdys Erste Syphonie war nicht die erste. Als Teenager schrieb er ein Dutzend Symphonien für Streicher, in denen er sich schrittweise von barocken und klassischen Vorbildern emanzipierte.

Bürgerliche Kammermusik

Das Szenarium dürfen wir uns frühbürgerlich vorstellen: Vater Mendelssohn liebte es, am Sonntag vormitags im Salon der Berliner Wohnung Konzerte zu geben. Der frühfreife komponierende Sproß leistete, sobald er konnte, Schützenhilfe, indem er kleine Symphonien für beisteuet, die in diesem privaten Rahmen ihre Uraufführungen erlebten. Nicht nur Liebhaber waren an den Veranstaltungen beteiligt, sondern auch Musiker der königlichen Hofkapelle. Felix war bereits als Neunjähriger, 1818, in diesem Rahmen als Pianist in einem Klaviertrio aufgetreten - es war sein offizielles Debüt auf dem musikalischen Parkett gewesen. Zwei Jahre später begann er zu komponieren. Schon 1820 entstanden an die sechzig Werke, Lieder, Sonaten, ein Trio und Werke für Orgel, aber sogar ein kleiner musikdramatischer Versuch. 1821 ist es dann erstmals eine Symphonie - für kleines Streicherensemble gesetzt und im heimatlichen Speisezimmer realisierbar.

Vorbild: Die Bach-Söhne

Der Ausbildung bei Carl Friedrich Zelter ist es zu danken, daß sich der kindliche Meister zunächst nicht gleich an den Klassikern orientierte, sondern sich an den Concerti und Sinfonie der Bach-Söhne Johann Christian und Carl Philipp Emanuel ein Vorbild nahm.

Die ersten sechs von Mendelssohns insgesamt zwölf Jugend-Symphonien folgen dem Modell von Carl Philipp Emanuel Bachs Hamburger Symphonien, sind also dreisätzig ohne Einschub eines Menuetts und dauern jeweils um die zehn Minuten. Und sie lassen sich mit einem Streichquartett aufführen, für das Baßfundament kann aber auch ein Kontrabaß sorgen.

Spätestens mit der Vierten seiner Streichersymphonien emanzipiert sich der junge Mendelssohn aber bereits deutlich von seinem Vorbild und experimentiert am Beginn des ersten Satzes mit einer Grave-Introduktion nach dem Muster der französischen barocken Ouvertüre. Dafür kontrastiert er diesen opernhaften Beginn mit einem zart-weigenden, empfindsamen Andante als Mittelsatz, der subtile modulationen in Moll-Bereiche einschließt. Das Finale klingt nach diesem experimentellen Einbruch romantischer Stimmungswelten wieder eher nach einem Händel-Concerto-grosso.

Rasche Fortschritte

In der Folge werden die bis Ende 1822 entstandenen Symphonien immer umfangreicher und auch gehaltvoller. In einigen Stücken verdoppelt Mendelssohn dann auch die Bratschen und tastet sich so zu einem fünfstimmigen Satz voran. Interessant in diesem Zusammenhang die mit Nr. X numierte Symphonie in h-Moll, die nur einsätzig blieb, doch dieser eine Satz ist von ehrgeizigem Umfang, dauert mehr als zehn Minuten und zeigt uns den Komponisten bereits auf höchst eigenwilligen Spuren: Die langsame Einleitung dauert beinah zweieinhalb Minuten und mündet in einen hektisch bewegten, oft wie verzweifelt in Durregionen strebenden Allegro-Satz, irgendwo aufhalbem Wege zwischen der »Sturm-und-Drang«-Stilistik der Frühklassik und jenen unverwechselbar romantischen Gefühlswelten, die Mendelssohn bald der Musikwelt erschließen wird: Der Eintritt des lyrischen Seitenthemas klingt denn auch wirklich wie reifer Mendelssohn oder Weber.

Schlußbilanz

Auch die letzten beiden Werke der Serie weichen vom Schema ab: Sinfonia Nr. XI ist fünfsätzig, die abschließende Nr. XII hat wiederum nur drei Sätze, doch zieht sie sozusagen Bilanz, beginnt mit einer Fuge und mündeet in ein gewichtiges Finale, dessen Dimensionen bereits in die Richtung der kurz danach komponierten, von Mendelssohn als Symphonie Nr. 1 numerierte und für großes Orchester gesetzten c-Moll-Symphonie (op. 11). Ein am 29. Dezember 1823 vollendeter c-Moll-Symphoniesatz fr Streicher gehört als Nachzügler noch zu der Reihe der Jugend-Syphonien und wird zuweilen als Nr. XIII gezählt.

Aufnahmen



Das Münchner Rundfunkorchester unter Henry Raudales hat die jugendlichen Symphonie komplett für das eigene Label des Bayerischen Rundfunks eingespielt. (BR Klassik)

Michi Gaigg und ihr Orfeo Barockorchester rekonstruieren den Klang mit Rückblick auf jene Epoche, von der sich Mendelssohn inspirieren ließ, allerdings »stilecht« mit Hammerklavier als »Continuo-Instrument«. Die Tempi sind frischer, phrasiert wird eloquenter als bei der Münchner Konkurrenz. (Erato, 2014)

↑DA CAPO