Carl Loewes Namen ist manchen Klassik-Hörern noch bekannt aus der Zeit, da im sogenannten »Wunschkonzert« immer wieder seine Balladen Tom der Reimer oder Die Uhr zu hören waren. Im übrigen war der Komponist jahrzehntelang vergessen, bevor sich in den Jahren um 2020 herum einige jüngere Sänger seiner erinnerten.
Loewe war das zwölfte Kind einer Lehrer-Familie, in der er auch seinen ersten Musikunterricht erhielt. Die Balladen Gottfried August Bürgers waren für den Knaben prägend. In napoleonischer Zeit erhielt Loewe ein Stipendium des westfälischen Königs Jérôme Buonaparte. Gerade als das Regime 1813 gestürzt wurde, starb Loewes Lehrer Türk - und der Schüler konnte ihm auf den Posten des Organisten an der Marktkirche zu Halle nachfolgen. Parallel dazu studierte Loewe Theologie. Doch Begegnungen mit Goethe zusammen, Weber und Hummel festigten seine künstlerischen Ambitionen. Im November 1820 übersiedelte Loewe als Organist und Lehrer für Musik, Naturwissenschaften, Griechisch und Geschichte nach Stettin. Die Stadt wurde seine zweite Heimat - von hier aus ging er auf Tournee und sang in Metropolen wie Wien oder London seine eigenen Lieder.
Vor allem die Balladen machten ihn bereits zu Lebzeiten berühmt – wobei ihm die Vertonung von Goethes Erlkönig den Spitznamen »norddeutscher Schubert« bescherte - er war fast gleich alt wie der Wiener »Kollege«.
Loewes Stärke war die Beschwörung dramatischer Szenen für den Konzertsaal - oder für die Kirche: Nach Aufführungen von Bachs großen Passionswerken schuf er - vermutlich 1847 - selbst eine Passionsmusik für die Aufführung in der Stettiner Jacobikirche: Das Sühneopfer des Neuen Bundes nach einem Text von Wilhelm Telschow, der Teile aus allen vier Evangelien zu einer Passionsgeschichte amalgamierte. Diese ist nach Bachs Vorbild gearbeitet, wobei der »Erzähler« Loewes nicht nur die Worte der Evangelisten, sondern auch die in direkter Rede gehaltenen Christus-Worte zu singen hat.
Loewes Oratorien, das wirkungsvollste gewiß Hiob, ebenfalls nach einem Text Telschows, pflegen eine seltsame Mixtur aus belcantistischer Melodik und eienr an der Grand Opéra geschulten dramatischen Gestik.
Die Form der Ballade beherrschte Loewe jedoch glänzend: Hier ist der dramatische Ton formal eingefaßt in raffinierte Verwandlungen der Strophen-Struktur, die jeweils dem Gehalt der Worte folgen. Der Hang zu eingängiger Melodik führte freilich des öfteren zu einer musikalischen Lyrik, die zu heftiger Kritik führte. Brahms sprach unumwunden davon, Loewes Musik sei »ganz talentvolle Mache, mitunter sogar höchst mittelmäßige« . . .
Bis in die Mitte des XX. Jahrhunderts hielten sich namentlich die Balladen in die Liedprogrammen bedeutender Interpreten - wobei namentlich die Bässe Loewe die Treue hielten. Hans Hotter oder auch Karl Ridderbusch (bei seinen seltenen Ausflügen in die Konzertsäle) sangen seine Lieder gern; der Bariton Hermann Prey liebte sie. Loewe selbst, europaweit gepriesen als feinsinniger Sänger, wurde zeitlebens freilich für seine schöne Tenor-Stimme gepriesen.