César Franck
(1822-1890)
Franck ist für die Entwicklung der französischen Instrumentalmusik der Romantik die bedeutendste Persönlichkeit.
Er war der Lehrer Debussys, Duparcs, Chaussons und d'Indys - und eine der großen Respektspersonen im Musikleben von Paris in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts.Doch Franck stammte aus Lüttich. Er kam freilich bereits zum Studium nach Paris, wo er zum Meisterschüler Anton Reichas wurde.
1843 begann er als Klavierlehrer, um drei Jahre später seine erste Anstellung als Organist zu finden. Ab 1859 wirkte er in dieser Funktion an Ste. Clotilde und wurde 1872 Nachfolger seines Lehrers Benoist als Orgelprofessor am Conservatoire.
Die in der Literatur gern verbreitete Geschichte vom kompositorischen »Spätentwickler« Franck entbehrt jeder Grundlage. Allerdings mußte Franck einige richtungsweisende Stücke aus seiner Feder längere Zeit liegen lassen, ehe sie gespielt werden konnten - manches blieb überhaupt in der Schublade, darunter vor allem seine Tondichtung nach Victor Hugos Ce qu´on entend sur la montagne von 1846, also einige Jahre bevor Franz Liszt dasselbe Gedicht zur Grundlage seiner ersten »symphonischen Dichtung« machte.
Die Partitur Francks, aus der für eine CD-Aufnahme durch das Orchestre Symphonique de la RTBF unter Brian Priestman erst die Stimmen ausgeschrieben werden mußten, gehört zu den kühnsten Klang-Visionen des XIX. Jahrhunderts. Wer den Beginn der Tondichtung das erstemal zu hören bekommt, wird unweigerlich an den Beginn von Wagners Lohengrin erinnert: Ein schwebendes Gebilde aus einem nur klanglich changierenden E-Dur-Akkord, überlagert von schimmernden Flageolett-Klängen der Violinen - dazu, wie im Ausklang des Lohengrin-Vorspiels Becken-Schläge im Pianissimo - allerdings muß man dazu wissen, daß beide Werke gleichzeitig entstanden sind. Wagner begann mit seiner Komposition 1846, Franck konnte sie so wenig kennen wie Wagner sein Werk.
Aber es dauerte, bis Franck sich aus solch genialen Anfängen heraus selbst gefunden und den ihm zustehenden Rang erobert hatte.
Seine vermittelnde Position zwischen der deutschen Formenstrenge und dem französischen Geschmack machte den zunächst vor allem als Organist geschätzten Meister Jahrzehnte später doch zum führenden Kopf des Pariser Musiklebens. Ihm gelang es zu beweisen, daß eine genuin französische Symphonie geschrieben werden konnte, die sich auch im deutschen Konzertrepertoire durchzusetzen vermochte und nicht von ungefähr zu einem Repertoirestück Wilhelm Furtwängler wurde.
Die Symphonie in d-Moll
Das Werk entstand in Paris von 1886 bis 1888 und erlebte seine Uraufführung ein Jahr nach Fertigstellung im Großen Saal des Pariser Konservatoriums.historische Perspektiven
Entgegen der verbreiteten Meinung stellt die d-Moll-Symphonie nicht Francks erste Beschäftigung mit dem symphonischen Genre dar. Er brachte bereits 1841 in Orleans eine Symphonie à Grand Orchestre in G-Dur heraus. Doch führte sein Weg zur klassischen Form über den Umweg der Eroberung dramatischer Experimente nach dem Vorbild der »Neudeutschen Schule« mit etlichen symphonischen Dichtungen und einer langsamen Wiederannäherung an die gebotene Formenstrenge auf dem Gebiet der Kammermusik zurück zur mehrsätzigen Symphonie.Bedeutsam und von Vorbildwirkung für manchen Nachfolger ist Francks Tendenz, die Themenbildung zu vereinheitlichen. Franz Liszts Prinzip der Metamorphose eines Grundmotivs herrscht in Franks Symphonie, deren wichtigste Keimzelle ein ganz am Beginn vorgestelltes »Urmotiv« ist.
Als Mittelteil der Symphonie erklingt eine bemerkenswerte musikalische Collage, die, so Franck
Andante und Scherzo miteinander verknüpft ... Dabei schwebte mir vor, daß eine Zählzeit des Andante einem Takt des Scherzos entsprechen sollte, sodaß nach der vollständigem Ablauf der beiden Abschnitte beide übereinandergeschichtet werden können.
Der dritte Satz führt die Metamorphose-Technik der motivischen Verarbeitung auf originelle Weise weiter. Franck:
Das Finale greift wie in der »Neunten« alle Themen wieder auf; aber sie erscheinen nicht als Zitate. Ich habe sie so angelegt, daß sie die Rolle neuer Elemente einnehmen.
Daß die Orchestrierungs-Technik des Organisten Franck entfernt an jene des Organisten Bruckner erinnert, ist oft bemerkt worden. Doch wurde auch Kritik laut: Maurice Ravel stellte in einem Aufsatz über Wagner, Brahms und die Pariser Schule César Francks die d-Moll-Symphonie Johannes Brahms' Zweiter gegenüber und kam zu dem Schluß:
Muß man die Enttäuschung bei jedem Neuen Hören der Symphonie von César Franck gleichen Ursachen zuschreiben? Ohne Zweifel, obwohl die beiden Symphonien in ihrem thematischen Wert wie in ihrer Gestaltung sehr ungleich sind. Doch haben ihre Mängel dieselbe Quelle: das gleiche Mißverhältnis zwischen Gedanken und Ausführung. Bei Brahms: klare und einfache Inspiration, bald munter, bald schwermütig; gelehrte großsprecherische, verwickelte und schwere Durchführung. Bei Franck: Melodik von gebildetem und heiterem Wesen, kühne Harmonik von eigentümlichem Reichtum; aber eine verheerende Armut in der Form. ... Bei dem Lütticher gibt es höchstes einen Versuch der Konstruktion: Er mißbraucht ungeschickt überlebte Schulformen. Aber ein Punkt in dem Brahmsens Überlegenheit sich zeigt, ist die Orchestertechnik. Sie gehört zu den glänzendsten. Im Gegensatz dazu häufen sich bei Franck die Instrumentationsfehler. Hier schleppen sich linkisch die Kontrabässe, dort verdoppeln schmetternde Trompeten die Geigen. Wenn die Eingebung am größten ist, wird man durch Jahrmarktsklänge gestört.
Von den Symphonischen Dichtungen Francks gehört der Chasseur maudit, (der »Wilde Jäger«) zu den effektvollsten Orchesterwerken (nicht nur) der französischen Romantik. Wie wild die Orchestermassen da toben können, hört man in der fabelhaften → Live-Aufnahme Charles Munchs mit Boston Symphony, eine Sternstunde orchestraler Disziplin und Ausdruckskraft.
Von Munch und den Bostonern stammt auch eine der besten Wiedergaben der d-Moll-Symphonie