Hector BERLIOZ
1803 - 1869
Harold in Italien
Über ein Stück, das ich wirklich nicht mag
Es gibt Stücke, für die braucht ein Musikfreund das sogenannte Schlüsselerlebnis, eine Interpretation nämlich, die ihn davon überzeugt, daß er nicht ein langweiliges, ungeordnetes, vollkommen inspirationsloses Stück vor sich hat. Von Hector Berlioz gibt es viele solche Stücke.
Harold in Italien, eine Symphonie für Bratsche und Orchester, ist für mich nach wie vor "unerlöst".
Nach einem Konzert im Rahmen des längst verwichenen "Wiener Sommers" anno 1992 versuchte ich zu ergründen, woran das liegt. Serge Baudo hat damals dirigiert.
Die Rezension von damals, ließ mich trotzig behaupten:
Dem Komponisten ist zu jenen Zeiten, in denen er sein Opus 16 niedergeschrieben hat, rein gar nichts eingefallen, was seinen, zugegeben faszinierenden, instrumentationstechnischen Visionen irgendeinen bemerkenswerten musikalischen Gehalt gesichert hätte.
Kein Wunder, daß Nicolo Paganini es seinerzeit abgelehnt hat, den Solopart bei der Uraufführung zu spielen. So, wie Harold in Italien diesmal klang, nähme es niemanden wunder, wenn ein Bratschist über dem langgezogenen orchestralen Strudelteig oder sogar über der Eintönigkeit seiner eigenen Solopassagen stehend einschliefe.
Thomas Riebl, das muß zur Ehrenrettung des 36jährigen Wieners gesagt werden, ist wach geblieben und hat die ihm zugedachten Bratschenkantilenen und Arpeggien mit stoischer Ruhe und immer schönem, warmem Ton absolviert.
Er hat sich seinen Applaus so redlich verdient wie die Symphoniker, die Berlioz, aber auch dem Dirigenten Serge Baudo zum Trotz, nie lustlos oder ungeduldig wurden, und die wie der Solist klangschön aufspielten. Wenn auch ohne jede raffinierte Nuance, die eine musikalische Münze sozusagen noch einmal umdreht und aufpoliert, bevor sie unters Zuhörervolk geworfen wird. Nur so wäre der eine oder andere Takt dieser Musik vielleicht als halbwegs origineller Einfall zu verkaufen.
Daß Harold in Italien hielte, was seine Satzüberschriften so verführerisch versprechen - Orgie der Räuber zum Beispiel, wie könnte, wie müßte das klingen! -, dazu bedürfte es zumindest eines ganz anderen Dirigenten-Kalibers als Serge Baudo eines ist.
Oder gleich einer anderen Partitur...
Wer bei dieser Partitur bleiben möchte und bei ca 30:00 einsteigt, dem kann garantiert werden: Bei Arturo Toscanini fehlt es jedenfalls nicht am nötigen Temperament, um den Briganten-Tanz zu befeuern!