Symphonie fantastique

1827

Hector Berlioz schuf das Werk ausdrücklich als »Drame musical«, das im Gefolge von Beethovens »Pastorale« der Programm-Musik neue Bahnen wies.

So ungeniert hatte zuvor kein Komponist seine Befindlichkeit in Musik zu setzen gewagt: Hector Berlioz versuchte mit seiner Fantastischen Symphonie eine persönliche Krise zu überwinden, in die er auf Grund einer unerwiderten Liebe geraten war.

Die Schauspielerin Harriet Smithson, die er in einer Aufführung von Shakespeares Hamlet erlebt hatte, dachte nicht daran, Berlioz' glühende Liebesbriefe zu beantworten. Als sie, ohne auf seine Annäherungsversuche zu reagieren, abreiste, schrieb sich der Komponisten seine Qualen von der Seele. Er verarbeitete seine Besessenheit in den fünf Akten einer musikalischen Tragödie. Daher der Untertitel Drame musical.

Die fünfteilige Struktur läßt freilich das formale Vorbild von Beethovens Sechster Symphonie der sogenannten Pastorale durchschimmern. Hatte der Klassiker noch vorsichtshalber über seine Partitur geschrieben

Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei,

wird bei Berlioz ganz unverschleiert ein pittoreskes Programm ab. Und während Beethovens Musik nach wütenden Stürmen in einen pantheistischen Naturhymnus mündet, endet Berlioz' »Drama« in einem wilden Hexensabbat.

Treppenwitz der Geschichte: Die künstlerische Psychoanalyse verfehlte ihre Wirkung nicht: Harriet Smithson hörte die Sinfonie fantastique und war vom Genie des Komponisten beeindruckt. Die beiden fanden doch noch zueinander und heirateten. Allerdings verlief die Ehe alles andere als glücklich und wurde nach einigen Jahren wieder geschieden . . .


Die Musik

  • Rêveries, Passions Largo – Allegro agitato e appassionato assai (c-Moll - C-Dur)
  • Un Bal Allegro non troppo, (A-Dur)
  • Scène aux champs Adagio (F-Dur)
  • Marche au supplice, Allegretto non troppo (g-Moll)
  • Songe d’une nuit du Sabbat, Larghetto - Allegro (c-Moll)
  • Die Musik erzählt zunächst genau die Geschichte einer jäh entflammten Liebe: Der erste Satz, »Träume, Leidenschaften« schildert die Begegnung des jungen Komponisten mit seinem Frauen-Ideal. Deren Bild wird die gesamte folgende Geschichte beherrschen - ihm entspricht die musikalische Idée fixe, die zur Grundlage nahezu sämtlicher Motive der Symphonie wird.

    Es verwandelt sich im zweiten Satz in ein geschmeidiges Walzerthema und dient im dritten als Grundlage für einen fernen Dialog zweier Hirten, die irgendwo in den Bergen ihre Schalmeien blasen. Der Komponist hat sich in die Einsamkeit geflüchtet und hadert mit dem Schicksal. Als einer der Hirten die musikalische Zwiesprache wieder aufnehmen möchte, bleibt er allein. Der andere antwortet nicht mehr. Auf dem Horizont ziehen Gewitterwolken auf (illustrative Pauken-Tremoli.)

    In seinen Fieberträumen und Rauschzuständen sieht sich der Komponist einem gräßlichen Tribunal gegenüber, das ihn zum Tode verurteilt. Nach dem Gang zum Richtplatz überwältigt ihn ein deliranter Hexensabbat, der alles mit sich reißt.

    Berlioz' Werk wurde nicht nur wegen seiner haltlosen Bildhaftigkeit zum Vorbild für alle kommenden symphonischen Dichtungen, sondern dank der immensen Klangfantasie des Komponisten, die seine melodische Erfindungsgabe bei weitem hinter sich ließ, zu einem Kompendium der Orchestrierungtechnik. Manche Effekte, die noch die musikalische Moderne 100 Jahre danach für sich nutzte, hat Berlioz für die illustrativen Details seiner Partitur erfunden.

    Aufnahmen

    Das Werk ist nahezu von jedem bedeutenden Dirigenten - meist mehrmals - eingespielt worden. Herausragende Gestaltungen bestimmter Details sichern etwa der Aufnahme von Charles Munch von 1954 aus Boston einen Sonderstatus: Es ist nahezu die einzige Interpretation des langsamen Mittelsatzes, die auch einen Berlioz-Skeptiker davon überzeugen kann, nicht gleich zum vierten Satz weiterzuklicken, denn Munch versteht es, Spannung aufzubauen und - in diesem Fall besonders schwierig: sie zu halten. (RCA)

    Eine Aufnahme in einem großen Atemzug, farbenprächtig differenziert und intensiv gesteitert, gelang Igor Markevitch mit den Berliner Philharmonikern (DG)

    Außerorgewöhnlich jedenfalls der Versuch Marc Minkowskis, die Vorzüge eines Originalklang-Ensembles mit denen eines romantischen Symphonieorchesters zu verknüpfen, dessen Fundament ja Berlioz' Orchestrierungs-Technik bildete: Er holte Mitglieder zweier Orchester aufs Podium und nahm eine regelrechte Klang-Inszenierung der Symphonie fantastique auf: ob man es mag oder nicht, man lauscht erstaunt den Farben und Formen, die sich da bieten - wobei sich Minkowski (DG) Zeit nimmt, die Farben auf seiner Palette anzumischen.

    Über die Zeit-Dimension

    Der langsame Satz dauert 19:34 Minuten; das ist 1:20 länger als Otto Klemperers Aufnahme aus der notorisch langsamen Spätphase des Dirigenten (EMI/Warner)!
    Zum Vergleich: Roger Norrington in seiner Originalklang-Adaption (Erato) benötigt 14:40, exakt 19 Sekunden weniger als Munch im oben erwähnten, dem spannendsten »Durchlauf« auf Tonträgern, Herbert von Karajan in seiner klanglich exquisiten Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra 16:45 Minuten (EMI/Warner).

    Anmerkung: Daß einige der hier wirklich als empfehlenswet gelisteten Aufnahmen noch im Mono-Zeitalter entstanden, ist vermutlich kein Zufall - es tut der gerade bei Berlioz so wichtigen Klang-Erfahrung probiertermaßen aber nicht den geringsten Abbruch. Wobei Audiophile stets den höchsten Hörgenuß erwarten dürfen, wenn sie an gut erhaltene LP-Pressungen gelangen . . .



    ↑DA CAPO

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