Muzio Clementi

(1752 - 1832)

Ein »Scharlatan« sei er, »wie alle Wälsche«, schrieb Mozart an seinen Herrn Papa über Muzio Clementi. Mit der viel gerühmten Virtuosität des Kollegen sei es nicht weit her. Ein Klavier-Wettstreit vor Kaiser Joseph II. ist immerhin mehrfach verbürgt.

Mozart darüber an seinen Vater, am 26. Dezember 1781:
vorgestern, als den 24sten, habe ich bey Hofe gespielt. Es ist noch ein Clavierspieler hier angekommen, ein Italiener, er heisst Clementi. Dieser war auch hinein berufen. Gestern sind mir für mein Spiel 50 Ducaten geschickt worden.
...
Nun vom Clementi. – Dieser ist ein braver Cembalist, damit ist aber auch Alles gesagt. – Er hat sehr viele Fertigkeit in der rechten Hand, – seine Hauptpassagen sind die Terzen, – übrigens hat er um keinen Kreuzer weder Geschmack noch Empfindung – ein blosser Mechanicus!

Der Kaiser that bey dem Concert (nachdem wir uns genug Complimente machten) den Ausspruch, dass Er zu spielen anfangen sollte. La santa Chiesa catholica, sagte der Kaiser, weil Clementi ein Römer ist. – Er präludirte und spielte eine Sonate. – Dann sagte der Kaiser zu mir: Allons, d'rauf los! – Ich präludirte auch und spielte Variationen. – Dann gab die Grossfürstin Sonaten von Paeséllo (miserabel von seiner Hand geschrieben) her, daraus musste ich die Allegro, und er die Andante und Rondo spielen. – Dann nahmen wir ein Thema daraus, und führten es auf zwey Pianoforten aus. – Merkwürdig ist dabey, dass ich für mich das Pianoforte der Gräfin Thun geliehen, ich aber nur, als ich allein gespielt, darauf gespielt habe, weil es der Kaiser so gewollt. – Das andere Pianoforte war verstimmt und drey Tasten blieben stecken. – »Es thut nichts,« sagte der Kaiser. – Ich nehme es so, und zwar von der besten Seite, dass nämlich der Kaiser meine Kunst und Wissenschaft in der Musik schon kennt, und mir den Fremden recht hat verkosten wollen. Uebrigens weiss ich von sehr guter Hand, dass er recht zufrieden war, denn der Kaiser war sehr gnädig gegen mich, und hat Vieles heimlich mit mir gespro- chen, – auch sogar von meiner Heirath.


Clementi erwies sich in diesem Wettstreit jedenfalls als der Höflichere. Er sprach mit Hochachtung von seinem »Konkurrenten«:
Ich hatte bis dahin Niemand so geist- und anmuthsvoll vortragen gehört. Vorzugsweise überraschten mich ein Adagio und mehrere seiner extemporirten Variationen, wozu der Kaiser das Thema wählte, das wir, wechselseitig einander accompagnirend, variiren mußten.

Kaiser Josephs Meinung

Daß Kaiser Joseph II. Mozart schätzte und über Clementi stellte, geht auch aus einer Anekdote hervor, die Carl Ditters von Dittersdorf in seinen Erinnerungen überliefert hat. Mit ihm plauderte der Monarch angeregt über das Wieer Musikleben. Im Zuge dessen kam es, so Dittersdorf, zu folgendem Dialog:
Der Kaiser. Wie gefällt Ihnen Mozart's Spiel?
Ich. Wie es jedem Kenner gefallen muss.
K. Einige ziehen Clementi dem Mozart vor. Ihre Meinung?
I. In Clementi's Spiele herrscht viel Kunst und Tiefsinn, in Mozart's nebst Kunst und Tiefsinn au- sserordentlich viel Geschmack.
K. Das sage ich auch.

Der Pianist Clementi

Mozart ging mit dem Komponisten und Interpreten Clementi nicht nur einmal ins Gericht. Wenige Wochen nach dem Wettspiel vor dem Kaiser schreibt er:
Der Clementi ist ein braver Cembalist, damit ist auch Alles gesagt. Er spielt gut, wenn es auf die Execution der rechten Hand ankommt; seine For- cen sind die Terzenpassagen. Uebrigens hat er um keinen Kreuzer Gefühl oder Geschmack, – mit einem Wort ein bloßer Mechanicus.
Und noch ein Jahr später wütet Mozart in einem Brief an seine Schwester, in dem das viel zitierte Wort vom »Scharlatan« fällt:
Nun muß ich meiner Schwester wegen den Clementischen Sonaten ein paar Worte sagen. Daß die Composition davon nichts heißt wird Jeder, der sie spielt oder hört, selbst empfinden. Merkwürdige oder auffallende Passagen sind keine darin, ausgenommen die Sexten und Octaven und mit diesen bitte ich meine Schwester sich nicht gar zu viel abzugeben, damit sie sich dadurch ihre ruhige und stette Hand nicht verdirbt, und die Hand ihre natürliche Leichtigkeit, Gelenkigkeit und fließende Geschwindigkeit dadurch nicht verliert. Denn was hat man am Ende davon? Sie soll die Sexten und Octaven in der größten Geschwindigkeit machen (welches kein Mensch wird zu Wege bringen, selbst Clementi nicht) – so wird sie ein entsetzliches Zackwerk her- vorbringen, aber sonst weiter in der Welt nichts. Clementi ist ein Ciarlattano, wie alle Welsche! Er schreibt auf eine Sonate Presto, auch wohl Prestissimo und alla breve, und spielt sie Allegro im 4/4 Takt. Ich weiß es, denn ich habe ihn gehört! Was er recht gut macht, sind seine Terzenpassagen; er hat aber in London Tag und Nacht darüber geschwitzt.

Außer diesen hat er aber nichts – gar nichts – nicht den geringsten Vortrag, noch Geschmack, viel weni- ger Empfindung.

Clementis Sicht

Clementi wiederum erklärte seinem Schüler Ludwig Berger später, daß sich sein Klavierstil mit den Jahren gewandelt habe - was auch mit den mechanischen Möglichkeiten der Instrumente zu tun gehabt hätte: »in jener früheren Zeit«, in die der Wettstreit mit Mozart fiel, hätt er sich »vorzugsweise noch in großer brillirender Fertigkeit und besonders in den vor ihm nicht gebräuchlich gewesenen Doppelgriff-Passagen und extemporirten Ausführungen gefallen«. Später hingegen sei für ihn ein »gesangvoller, edlerer Stil im Vortrag« charakteristisch gewesen, den er »durch auf- merksames Hören damaliger berühmter Sänger, dann auch durch die allmähliche Vervollkommnung besonders der englischen Flügel-Fortepianos, deren frühere, mangelhafte Construction ein gesangvolleres, gebundenes Spiel fast gänzlich ausgeschlossen«, kultiviert habe.

Clementi, 1806


Der Komponist Clementi

  Der Komponist Clementi war im Gegensatz zu Mozart - und auch Dittersdorf - in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts bereits fast völlig vergessen; nur die Musikhistoriker wußten zu vermelden, dass Mozart das Hauptthema Clementis B-Dur-Klaviersonate (aus op. 24) für das Allegro seiner Zauberflöten-Ouvertüre entlehnt hat und daß sein Name aus der Gründerzeit des Londoner Konzertlebens so wenig wegzudenken war wie aus den Pionierjahren des sogenannten Pianofortes. Doch hatte sich der Klaviervirtuose Clementi bereits in den späten Achtzigerjahren des XVIII. Jahrhunderts von den Podien zurückgezogen und widmete sich - wie übrigens auch zur selben Zeit der führende Violinvirtuose Viotti (!) vor allem der Lehrtätigkeit und dem Komponieren.

Der Persönlichkeit Clementis kann nur Gerechtigkeit widerfahren lassen, wer bedenkt, daß anders als in der Generation Mozarts, die jüngeren Virtuosen jener Zeit nicht mehr mit den von Carl Philipp Emanuel Bach apostrophierten, mehrheitlich adeligen »Kennern und Liebhabern«, sondern bereits mit dem weitaus weniger anspruchsvollen Publikum des aufkeimenden Bürgertums zu rechnen hatten. Ein Zeitalter verhältnismäßig vordergründigen Virtuosität brach an.

Schon die Karriere des talentierten jungen römischen Musikers verlief nach einem neuen Muster: Der englische Handelsreisende Peter Beckford nahm den 14jährigen Burschen mit sich nach, um ihn auf seinem Landsitz Fonthill Abbey ausbilden zu lassen. Dort übte der Teenager Clementi Tag für Tag acht Stunden lang Klaver. Beschäftigt hat er sich dabei - durchaus nicht selbstverständlich für die damalige Zeit - auch mit den Werken Johann Sebastian Bachs. Vor allem aber soll er den Berichten der Zeitgenossen zufolge, die Sonaten Scarlattis unvergleichlich gespielt haben.

Als Pianist war Clementi dann an der Seite so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie John Field, Jan Ladislau Dussek und Jhann Baptist Cramer, die alle bedeutende Beiträge zur Herausbildung des romantischen Klaviervirtuosentums geleistet haben - eine der Stützen des aufblühenden Londoner Musiklebens. Wie in ganz Europa dominierten hier bald die Instrumentalvirtuosen das Feld vor den Komponisten.

Aufnahmen

Aufnahmen von Werken Clementis waren in der Zeit der Langspielplatte rar. Eine Einspielung der Klaviersonate in h-Moll op. 40/2 durch → Artur Balsam (für das englische Label Nixa, 1954) ist allerdings hörenswert (sie erschien bei Pristine in einer liebevoll akustisch restaurierten Form), denn - musizierend auf einem modernen Konzerflügel - der Pianist (er war Begleiter von Solisten wie Nathan Milstein und Lehrer von Murray Perahia oder Emanuel Ax), betont Clementis Zeitgenossenschaft mit Beethoven, musiziert mit Kraft, aber auch viel Gefühl für die nötigen agogischen Nuancen, die den rhetorischen Aspekt von Clementis Musik unterstützen.

Im Zeitalter der CD haben sich dann etliche Pianisten wieder der Klavierwerke Clementis angenommen. Costantino Mastroprimiano ging sogar daran, das gesamte Sonatenwerk Clementis einzuspielen. Ausgewählte Sonaten haben mittlerweile zahlreiche Interpreten im Studio realisiert.

Pionierjahre in London

Clementi war in London, bevor Haydn kam, auch die Instanz in Sachen Symphonik. Die Mythenbildung will es, dass der seinerzeit in ganz Europa umworbene Meister Angst vor der eigenen Courage bekommen hätte; angesichts der Wiener Klassik habe es ihm sozusagen »die Red' verschlagen«, weshalb aus seinem symphonischen Schaffen, das umfangreicher gewesen sein muss, nur sechs Werke überlebt haben.

Vorahnung der Romantik

Vier Symphonien hat Ivor Bolton mit dem Mozarteumorchester bei der Salzburger Mozartwoche 2014 musiziert - und für CD aufgenommen. Das Ergebnis ist äußerst hörenswert. Nur alle heiligen Zeiten kann man bei Ausgrabungen aus den Archiven derartige Schätze entdecken, die in Wahrheit weniger die Hochblüte der Wiener Klassik vorwegnehmen als romantische Ansätze der Nach-Beethoven-Ära und nicht zuletzt an die unverkrampfte Mischung aus dramatischen Ansätzen und einer entspannten Unterhaltungsmusik, die auch Rossinis Zeitgenossenschaft nicht leugnet: Die ist für den frühen Schubert typisch, an den bestimmt viele Musikfreunde denken, wenn sie Clementis Symphonien in Boltons Interpretation zu hören bekommen.

»God Save The King«

Allein die Mixtur aus entrückt-mystischen Harmonien (in der Larghetto-Introduktion) und quicklebendigem Rokoko im Allegro molto,die den ersten Satz der C-Dur-Symphonie beherrscht, darf man als charakteristisch für Clementis Stil bezeichnen. Überraschungen gibt es in diesen vier Werken auf Schritt und Tritt.

In der G-Dur-Symphonie mit dem Untertitel »The Great National« erlebt man sogar einen Prototyp »politischer« Musik der Vor-Eroica-Ära: Was das nicht gerade ausführliche Beilageheft der CD verschweigt, kann sich der Musikfreund rasch aneignen: Clementi erweist sich hier als glänzender Handwerker, der die englische Königshymne als Grundlage mannigfacher Verwandlungen verwendet. Eine akustische Entdeckungsreise der erfreulichsten Art.

↑DA CAPO