Mozarts letzte Wohnung
Ein Spaziergang durch das Wien Mozarts - anno 1791. Begegnungen in der Rauhensteingasse.
Wer das Kaufhaus Steffl durch den Hinterausgang verlässt, durchquert geheiligten Boden – zumindest sehen das Musikfreunde so, denn ziemlich genau an jener Stelle, an der man auf die Rauhensteingasse hinaustritt, war einst der Eingang zum letzten Wohnhaus Wolfgang Amadeus Mozarts.
Und ein wenig vom Wien jener Epoche umfängt uns auch heute noch, wenn wir durch die Gassen dieses Distrikt flanieren. Vis a vis an der Ecke zur Himmelpfortgasse stand zu Mozarts Zeit ein ganz neues Wohnhaus, das der Baumeister Josef Meissl errichtet hat, nachdem das Himmelpfortkloster aufgelassen worden war.
Als der Komponist Anfang der Achtzigerjahre nach Wien übersiedelt war, gingen hier noch die Nonnen aus und ein. Aber bald nach dem Tod seiner Mutter, der Kaiserin Maria Theresia, hob Kaiser Joseph II. die meisten Klöster auf. 1783 mussten die Klosterfrauen ausziehen, im Jahr darauf brach man die Kirche ab.
Das Café Frauenhuber
Stehen geblieben ist bis heute jenes um 1720 errichtete Haus auf der anderen Straßenseite, in dem der einstige Leibkoch der Kaiserin, Ignaz Jahn, ein Restaurant eröffnet hatte. Es beherbergt seit langem das Café Frauenhuber, in dem ein wenig noch der Geist der Wiener Klassik weht – immerhin hat Beethoven hier musiziert; und Mozart absolvierte im „Jahnschen Saal“ seinen letzten öffentlichen Auftritt.
Er musste zu diesem nicht weit gehen. Wenn er sein Wohnhaus verließ und sich nach rechts wandte, mündete die Rauhensteingasse nach wenigen Schritten sozusagen direkt in den Eingang des Etablissements. Vermutlich hat man zu diesem Zweck auch sein Klavier aus der Wohnung zu Jahn hinübergeschafft – und der Komponist konnte von seinem Arbeitszimmer aus den Weg der Dienstboten verfolgen.
Solche Transporte waren im Mozartschen Haushalt an der Tagesordnung.
Deines Bruder Fortepiano Flügel ist wenigst 12 mahl, seit dem hier bin, aus dem Hause ins Theater oder in ein anderes Haus getragen worden,
hatte schon Vater Leopold von seinem (vierwöchigen) Wien-Aufenthalt 1785 an Mozarts Schwester Nannerl geschrieben, nicht ohne zu ergänzen:
es ist ohnmöglich die schererey und Unruhe alles zu beschreiben.
Sechs Jahre später, der sorgende Papa war längst gestorben, ging es im Mozartschen Haushalt nicht weniger hektisch zu als damals, als es hieß:
wie kommen vor 1 uhr in der Nacht niemals schlafen ... täglich Akademie, immer Lernen, Musik, schreiben etc . . .
Die Gäste nicht zu vergessen. Mozarts führten ein offenes Haus und legten wert auf ihren gesellschaftlichen Auftritt.
Ein Fashion Victim
Entsprechend gut waren die beiden auch gekleidet. Das Nachlassregister des Komponisten liest sich diesbezüglich großbürgerlich, für einen Mann von Mozarts Rang beinah hochstaplerisch: sechs luxuriöse Röcke in Samt und Seide, zehn Hosen, zwei Mäntel und ein Pelz, Hüte, Stiefel, Schuhe, Seidenstrümpfe – der Meister war stets nach der neuesten Mode gekleidet.
Ein „Fashion Victim“, scherzte eins Wiens historisch wohlinformierter Operndirektor Dominique Meyer in Anspielung auf die offenen Rechnungen, die sich im Nachlass fanden: Über 300 Gulden schuldete Mozart zwei Schneidern. Bei der Hofapotheke stand er – wegen der fortwährenden Kuren seiner Frau Constanze – mit nicht einmal der Hälfte dieses Betrags in der Kreide.
Die hohen Ausgaben für das, was die damalige Haute Couture (schon dem kleinen Buben ließ die begeisterte Kaiserin in Festkleid anmessen, um es ihm für seine Auftritte zu schenken!) mögen mit ein Grund für den notorischen Geldmangel gewesen sein, unter dem der Komponist in seinen späten Wiener Jahren litt. Zahlreichen Bettelbriefe an maurerische Freunde belegen das – war es ein Zufall, dass die letzte Wohnstätte des leidenschaftlichen Freimaurers Mozart schräg gegenüber des Hauses „zum rauhen Stein“ lag, der größten der Wiener Logen?
Die Zauberflöte
An seinem Schreibtisch mit Blick auf Rauhenstein- und Himmelpfortgasse entstand die Partitur zur großen Freimaurer-Oper Die Zauberflöte. Sie war ein Werk der künstlerischen Neuorientierung, die in den Monaten in der Rauhensteingasse vor sich ging. Die Türkenkriege, in die sich die Habsburgermonarchie in den letzten Jahren der Regentschaft Josephs II. verstrickt hatten, verschlangen Unsummen, riefen adelige Reservisten an die Front und das wienerische Kulturleben, das noch zu Beginn von Mozarts Ära in Hochblüte stand, kam zum Erliegen. Zumindest so weit es die adelige Gesellschaft und die großen Orchesterkonzerte betraf, in denen der Komponist und Pianist seine ersten Triumpfe feiern konnte.
Büergerlicher Musikbetrieb
1791 gaben längst die bürgerlichen Mäzene den Ton im Musikleben an. So erklärt sich der Rückgang der „großen“ Kompositionen und die vermehrte Produktion von Kammermusik. Die konnte auch in Privatwohnungen gespielt werden.
Die Zauberflöte war denn auch für die Vorstadtbühne Emanuel Schikaneders „auf der Wieden“ bestimmt. Von einer Opernuraufführung im alten Burgtheater am Michaelerplatz konnte kaum mehr die Rede sein.
Zumal Kaiser Leopold II. sich – anders als sein verstorbener Bruder – für Mozarts Musik kaum interessierte. Obwohl der Komponist von den Prager Ständen den Auftrag bekommen hatte, die Festoper zur Krönung Leopolds zum König von Böhmen zu schreiben, La clemenza di Tito. Wolfang Amadeus und Constanze reisten im Verein mit dem Schüler Franz Xaver Süßmayer nach Prag – zu diesem Zwecke wurde im wahrsten Sinne des Wortes das Familiensilber geopfert. Man versetzte es, um eine eigene Kutsche für die beschwerliche Fünftagesreise zu erwerben.
»Titus«
Anders als die Zauberflöte entstand der Tito nicht im Komponierzimmer in der Rauhensteingasse, sondern in größter Eile auf der Fahrt. Assistent Süßmayer musste, so wird gemunkelt, die Teile ergänzen, die Mozart nicht selbst fertigstellen konnte. Der kaiserlich-königliche Hofstaat nahm von der Krönungsoper kaum Notiz, die Kaiserin soll sich sogar abfällig über die „deutsche“ Musik zum altbekannten italienischen Huldigungstext des Metastasio geäußert haben.
Der »arme Mozart«
Vergebliche Liebesmüh, die zur Legendenbildung um den »armen Mozart« beitrug, den Wien nach anfänglicher Euphorie ganz vergessen hätte. Da spielt freilich auch die kriminalfilmtaugliche Geschichte um das „Requiem“ herein, das ein anonymer Bote bei Mozart in Auftrag gegeben hatte – in Wahrheit der Zuträger des Grafen Walsegg, der Komponisten gut dafür bezahlte, dass sie ihm Werke überließen, die er dann als seine eigenen ausgeben konnte.
Wieder Er war Süßmayer zur Stelle, als es darum ging, dieses letzte Werk seines Lehrers zu Ende zu bringe. Als Mozart in seiner letzten Wohnung am 5. Dezember 1791 starb, hinterließ er die Partitur unvollendet. Süßmayer ahmte seine Handschrift so gut es ging nach, sodass die Witwe das ausbedungene Honorar kassieren – und das „Requiem“ später auch noch einem Verleger verkaufen konnte.
Abendliches Billardspiel
Doch spiegelt die Tristesse der letzten Wochen nur eine Facette des Komponistenlebens in der Rauhensteingasse. Seit Constanze die Wohnung im Herbst 1790 bezogen hatte – ihr Mann war damals gerade unterwegs zu den Krönungsfeierlichkeiten für Leopold II. nach Frankfurt – herrschte auch hier rege Betriebsamkeit. Der Haushalt bestand aus dem Ehepaar, seinen Kindern – das letzte, Franz Xaver, kam in der Rauhensteingasse zur Welt, und zwei Dienstmädchen. Die Wohnung selbst war groß genug für eine Familie, die Gastfreundschaft hoch hielt. Und die abendliche Unterhaltung beim Billardsiel, dem ein eigener Raum reserviert war.
Dass Mozart in der Regel seine Werke im Kopf konzipierte, ehe er sie dann – quasi mechanisch – nur noch niederzuschreiben brauchte, während Constanze ihm Geschichten erzählen musste, weiß man. Er komponierte also in jeder Lebenslage. Dafür liefert uns Mozarts Friseur den Beweis, wenn er erzählt:/p>
Als ich eines Morgens Mozart frisierte, u: eben mit der Vollendung des Zopfes beschäftigt war, stand M. plötzlich auf, u: gieng ungeachtet ich ihn beym Zopfe hielt, mich nachschleppend ins Nebenzimmer zum Klavier, wo er zu spielen anfieng . . .
Derselbe Friseur befeuert auch unsere Fantasie, wenn wir auf Besuch in der Rauhensteingasse uns vorstellen wollte, wie das wäre, wenn Mozart gerade vorbeikäme: „Als ich eines Tages von der Kärntnerstraße in die Himmelpfortgasse einbog um M. bedienen zu wollen, kam er zu Pferde daher, still, u: nahm als er einige Schritte weiterritt eine Tafel heraus u. schrieb Noten.“ Wenn wir demnächst also im „Frauenhuber“ unseren Kaffee nehmen . . .