Die Jahreszeiten
Es ist ein Alterswerk - und der Komponist beklagte während der Arbeit mehr als einmal die Mühe, die er mit seinem zweiten großen Oratorium nach einem Text Gottfried van Swietens hatte: Doch war die - ebenfalls auf eine englische Vorlage zurückggehende - »Schöpfung« ein solcher Sensationserfolg gewesen, daß buchstäblich die Welt auf ein weiteres Oratorium des berühmten Meisters wartete.
Haydn war beinahe 70, als er die Jahreszeiten vollenden konnte. Publikum und Nachwelt bezeichneten das Werk als weniger attraktiv als die Schöpfung, doch lieben Kenner die detailverliebten Genreszenen und die gewaltigen dramatischen Wirkungen, die Haydns Kunst noch zu erzielen imstande war. Daß van Swietens Libretto »betulich« sei, empfanden die Zeitgenossen wohl nicht. Die Nachwelt gibt sich skeptisch, wenn von Tugend und der Frucht eines arbeitsamen Lebens gesungen wird - andererseits vergißt man, was es in den Jahren um 1800 bedeutete, wenn von selbstbestimmten Menschen die Rede ist, die ihr Leben in die Hand nehmen und nur einer einzigen Autoritität zu folgen gewillt sind: Hierarchisch betrachtet, steht in diesen Jahreszeiten nur Gott über dem Bauern, kein Grundherr, kein Landvogt, kein Monarch.
Uraufführung, 1801
Die Jahreszeiten sind also ein Produkt der Aufklärung, ein postrevolutionäres Stück im tiefsten Sinne, wenn der Text auch keinerlei Angriffsflächen für die kaiserliche Zensur bot.
Die Neugier der Wiener Musikfreunde auf Haydns neues Oratorium war enorm. Der Uraufführung am 24. April 1801 im Palais Schwarzenberg mußten zwei Wiederholungen folgen, um den Publikumsandrang zu befriedigen.
Die Kaiserin sang mit
Am 24. Mai gab man schließlich eine Privataufführung am kaiserlichen Hof. Da fand sich - wenn auch laut Haydns Zeugnis mit einem »schwachen Organ« aber mit viel Geschmack - imperiale Unterstützung auf dem Podium ein: Die Kaiserin selbst, Franz II. Gemahilin Marie Therese, übernahm das Sopransolo. Falls sie tatsächlich die gesamte Partie übernommen hat, bestand die Kaiserin damit eine enorme Herausforderung, denn Haydn hat dem Sopran eine lange, kräfteraubende Rolle zugedacht.
Die Lust an illustrativen Details ist in den Jahreszeiten ebenso ausgedprägt wie in der Schöpfung. Naturlaute, bis hin zur Schilderung eines apokalyptischen Sommergewitters, aber auch die pittreske orchestrale Inszenierung einer herbstlichen Jagd prägen den dramatischen Ablauf, der in manchen Passagen wie ein Singspiel anmutet: Der liebenswerte Pächter Simon (Baß), seine Tochter Hanne, gar nicht naiv, sondern zu Zeiten durchaus kokett, aber durchwegs sittsam (Sopran) und ihr Bräutigam, der rechtschaffene Lucas (Tenor) preisen die Tugend des erfüllten Arbeitslebens, die Größe der Schöpfung und die göttliche Vorsehung. Haydn auf dem Weg zu Lortzings Biedermeier-Dramaturgie, aber erfüllt von Humanität und einer innigen Liebe zur Natur.
Das Orchester ist das größte, das Haydn je verwendet hat - und wurde anläßlich der Uraufführung in allen Stimmen vielfach besetzt, was einen in Originalklangzeiten undenkbaren Instrumental-Apparat und damit überwältigende Klangeffekte ergeben haben muß.
1. Frühling.
Schon die Orchestereinleitung (g-moll), sie stellt den Übergang vom Winter zum Frühling dar, zieht alle Register des Orchesters. Die Winterstürme beruhigen sich mit dem Eintritt der Singstimmen und führen zur anmutigen Beschwörung des Frühlings: Komm', holder Lenz (G-dur), die freilich noch von Ahnungen möglicher später Kälteeinbrüche überschattet ist.
Erst danach beginnt das bäuerliche Arbeitsleben: In munterem Allegretto (C-dur) eilet froh der Ackersmann zur Arbeit auf das Feld. Während er seinem Pfluge flötend nachschreitet, pfeift er ein Lied - und Haydn nutzt die Gelgenheit, eine seiner poplärsten Melodien zu zitieren: das Andante aus der Symphonie mit dem Paukenschlag.
2. Sommer.
Dunstige Frühnebel. Der Hirt versammelt seine Herde (Baß-Ariem F-Dur). Die Sonne steigt über einem schwülen Sommertag herauf - und erstrahlt bald in heller Pracht. (Terzett und Chor - D-Dur).
-Doch die Natur erliegt bald dem unerträglichen Druck der Hitze. (Tenor-Cavatine. E-Dur). Man sucht die Schatten im kühlen Hain. (Reitativ und Sopran-Arie. B-Dur) Die Szene verdüstert sich jäh - ein gewaltiges Gewitter bricht los, in seiner orchestralen Apokalyptik nicht weniger eindrucksvoll als jenes Pendant, das wenig später in seiner Sechsten Symphonie entfesseln wird. Doch - ähnlich wie später in Beethovens Pastorale - ruft zuletzt friedlich die Glocke zum Abendgebet.
3. Herbst.
»Des Landmanns freudiges Gefühl über die reiche Ernte« steht am Beginn des dritten Teils (G-Dur). Das Lob des Fleißes wird gesungen (C-Dur), die Vorzüge des tugendhaften Landlebens gepriesen (Duett. B-Dur).
Mit Hunden geht es auf die Jagd: Spurensuche und Gewehrschüsse werden lautmalerisch nachgezeichnet. (Baß-Arie. a-Moll)
Jagdglück (D-Dur - Es-Dur) und Weinlese (C-Dur) beschließen die Jahreszeit tänzerisch ausgelassen.
4. Winter.
»Die Einleitung schildert die dicken Nebel, womit der Winter anfängt.« (c-moll). Ein verirrter Wanderer sucht verzweifelt nach Rettung - und atmet auf, als er in der Ferne das Licht eines Bauernhofs erspäht (Tenor-Arie, e-Moll).
Die große Stunde des Soprans schlägt: Hann singt zunächst zur Arbeit ein Spinnerlied (d-moll), an dessen drehenden Rädern wie an der Melodik später Richard Wagner für die Genreszene im zweiten Aufzug seines Fliegenden Holländers Maß nehmen wird.
Zur Unterhaltung gibt sie aber auch die Ballade vom klugen Bauernmädchen zum besten, das einen lästigen Ritter überlistet (Arie. G-Dur). Simon räsoniert zuletzt über den bleichen Winter und das Altern des Menschen - und preist die Tugend. (Baß-Arie, Es-Dur) zieht Parallelen zwischen dem „bleichen Winter“ und dem Altern der Menschen. Ein »Terzett mit Doppelchor« (C-Dur) beschließt mit der Bitte um Stärk' und Mut machtvoll das Oratorium.
»Die« Aufnahme
Hör-Empfehlungen fallen nicht immer leicht. Anders in diesem Fall: Die ultimative Schallplatten-Aufnahme der Jahreszeiten gelang Karl Böhm mit dem Wiener Singverein und den Symphonikern Ende der Sechgzierjahre. Das Solisten-Terzett mit Gundula Janowitz, Peter Schreier und Martti Talvela erfüllt alle Ansprüche, Böhms Interpretation ist voll Saft und Kraft - und wölbt einen Spannungsbogen über das vielschichte Werk, der nie abreißt.