HAYDN ALS OPERNKOMPONIST
Armida bei den Salzburger Festspielen
(30. Juli 2007)
Joseph Haydn, der verzopfte Opernkomponist?
Die Salzburger Festspiele wagen sich an die letzte der Opern, die der große Symphoniker als Kapellmeister in Esterháza komponiert hat. Schon die Qualität des Librettos läßt verstehen, warum die Nachwelt Mozart als den eigentlichen Musikdramatiker jener Ära gefeiert hat, während Haydns Opernschaffen ein Fall für die Lexika werden mußte:
Hier der geniale Zugriff eines Lorenzo da Ponte, mit dem Mozart ab 1786 eine wahrhaft revolutionäre Feinabstimmung zwischen Wort und Ton ins Werk setzte, da das Kompilat eines Unbekannten, der für Haydn aus einigen der damals in Umlauf befindlichen "Armiden" einen notdürftig zusammenhängenden Text zimmerte.
Eine Aufeinanderfolge von seelenvollen Monologen und Dialogen zum Thema Abschied sollte ausreichen, die höfische Gesellschaft anno 1784 zu unterhalten. Zwei Jahre vor dem Figaro markiert diese Armida den Ist-Zustand des laufenden Opernbetriebs.
Das Urteil der Kaiserin
"Spectacels müssen sein", hatte Kaiserin Maria Theresia einst beschieden. Ihre Nachfahren hielten sich daran - ohne viel nachzudenken: Da war immerhin die Musik des vortrefflichen Joseph Haydn.
Deren Imaginationskraft steuerte zu jener Zeit gerade ihrem Höhepunkt zu. Der Meister der Formbeherrschung stand vor der Komposition seiner "Pariser" und "Londoner" Symphonien. Er sollte in der Vokalmusik mit Schöpfung und Jahreszeiten Muster bildhafter Textausdeutung liefern. In der Armida finden wir dafür bereits Beispiele in Fülle. Sie werden vom wackeren Mozarteum-Orchester unter Ivor Bolton mit zuletzt umjubelter Lust an der Detailarbeit, mit vielen kräftigen Akzenten und subtilen Pointensetzungen präsentiert. Haydn, der Meister feinsinniger Differenzierungen und geistsprühender Apercus kommt zu seinem Recht.
Die Sänger finden einen lebendigen musikalischen Urgrund für ihre Künste vor, die wirklich eminent sind: Selten erlebt man auch im Festspielbezirk eine solche Ansammlung jugendfrischer Edelstimmen.
Da sind Charakter-Darsteller vom Format eines Michael Schade und einer Annette Dasch, die mit nobelster Phrasierungskunst und Nuancierungen vom gehauchten Pianissimo bis zum dramatischen Aplomb alle Register zu ziehen wissen, ohne nur einen Moment lang die Grenzen belkantesken Geschmacksdiktats sprengen zu müssen.
Da sind aber auch junge Stürmer und Dränger wie Mojca Erdmann und Bernard Richter, die als Zelmira und Clotardo - in der Operette würden wir sagen - das Buffopaar geben und jene Probleme einer Liebe über Haß-Grenzen des Krieges hinweg, die das Hauptpaar Armida/Rinaldo bewegen, sozusagen in leichter Form paraphrasieren.
Auch hier herrscht stimmlich das Wunder lichter, jugendlicher Timbrierung bei gleichzeitiger Fähigkeit zur ausdrucksvollen Differenzierung.
Mojca Erdmann gelingt das Kunststück, im ersten Akt ganz kokett-liebenswerter Koloratur-Fratz zu sein - Clotardo muß sich in sie verlieben und jegliche Holz-Barrikaden des Bühnenbilds für sie überwinden; während sie im Mittelakt dieselben blitzsauber intonierten Soprantöne auch zu beeindruckender Machtfülle anschwellen lassen kann, wenn der Ernst des Kriegslebens kein Pardon mehr kennt.
Der sicher geführte, Soldatenehre mit erstaunlich weicher Linienführung einfordernde Tenor Richard Crofts (Ubaldo) und der ihm durchaus ebenbürtige Baßbariton Vito Priante als Kriegsherr der Gegenseite sind die Tugendwächter kämpferischer Pflichterfüllung.
Die Umkehrung des Habsburg-Prinzips herrscht: Andere mögen heiraten, hier werden Kriege geführt. Liebende mögen das begreifen und sich aus ihren seelischen wie körperlichen Umschlingungen und Verknotungen lösen, die Regisseur Christof Loy sinnfällig werden läßt.
Bei Haydn, das macht sein dramatisches Werk für unsere Zeiten so schwer zugänglich, gilt es auf Zwischentöne zu achten. Seine Musik wird nicht laut und drastisch.
Wer sich berieseln läßt, vernimmt ewig Gleiches. Wer aufmerksam lauscht, wie sich kleinste Figuren wandeln können, Arien und Ensembles also durch den Streichquartett-Fokus an sich heranläßt, wird in Bann geschlagen vom Reichtum der Gefühlswelten, die hier angespielt werden, auch wenn die Dramaturgie des Librettisten viele Chancen ungenützt läßt, Stimmungs- und Gesinnungswandel schlüssig zu begründen.
Loy setzt denn auch für die Videoclip-Generation grelle Zeichen, spielt blutige Szenen brutal aus, wo die Schöpfer der Oper sie von der Szene verbannen, weil sie die gesamte Handlung von Tassos Vorbild-Epos als bekannt voraussetzen. So stürmt der Bewegungschor bereits über die steil aufragende Holzrampe, wenn in der Ouvertüre martialische Klänge hörbar werden: Auf diese Weise wird, wer nicht gleich hören will, auf die Haydnsche Zeichensprache hingewiesen.
Vielleicht erleichtert sich so die Fühlungnahme, schärft es die Wahrnehmung der selben Melodie, wenn sie, nun stockend und zögerlich, wiederkehrt, sobald ein Krieger von seiner Angst singt?
Magische Regionen
Armida, die Zauberin, lockt uns in magische Regionen, da singt sie wie später Kundry im Blumengarten mit wohllautender Phrase von Liebeslust. Doch Rinaldo, der Rokoko-Radames, wiewohl ihm das "ritorna vincitor" so unspektakulär gesungen wird, entscheidet gegen die Myrte, für den Lorbeerkranz. So hat Ausstatter Dirk Becker den Baum bereits gefällt wie Wotan die Weltesche, und zu starken Scheiten geschichtet, aus denen, wir wissen es, zuerst der Untergang dräut, dann aber wieder die Hoffnung keimt.
Das Finale der Oper, mächtig anschwellend, verweigert den damals üblichen Schluß der Armida-Geschichte: Nicht Vernichtung droht der Zauberin, schon gar nicht winkt ihr die Erlösung durch die Taufe: Sie wird den davon eilenden Krieger auf immer verfolgen.
Rettung ist nirgends, kein Deus ex machina, sondern ein großes Fragezeichen als Schlußtableau:
Joseph Haydn, der Zeitgenosse!