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Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz

Kühne Visionen prägen das Schaffen des „ersten Wiener Klassikers", Joseph Haydn. Welcher Stelle im Schaffen dieses Meisters man auch immer aufmerksam studiert, man wird kaum je ein Stück finden, das nicht originelle formale Experimente enthält.
Forderte man nun die Phantasie Haydns durch einen besonders skurrilen oder auch durch einen schier unlösbar scheinenden Auftrag heraus, dann entstanden die bemerkenswertesten Dinge.

So erreichte Haydn Mitte der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts ein Auftrag, die „Sieben letzten Worte” Jesu Christi in Musik zu setzen, ein Unterfangen, das vor allem deshalb besonders problematisch war, weil das Werk unter ganz besonderen Umständen aufgeführt werden sollte. Haydn selbst schildert sie im Vorwort der 1801 gedruckten Partitur:

Es sind ungefähr 15 Jahre, daß ich von einem Domherrn in Cadix ersucht wurde, eine Instrumentalmusik auf die sieben Worte Jesu am Kreuze zu verfertigen. Man pflegte damals alle Jahre während der Fastenzeit in der Hauptkirche zu Cadix ein Oratorium aufzuführen, zu dessen verstärkter Wirkung folgende Anstalten nicht wenig beytragen mußten. Die Wände, Fenster und Pfeiler der Kirche waren nämlich mit schwarzem Tuche überzogen und nur Eine, in der Mitte hängende große Lampe erleuchtete das heilige Dunkel. Zur Mittagsstunde wurden die Türen geschlossen; jetzt begann die Musik. Nach einem zweckmäßigen Vorspiele bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus und stellte eine Betrachtung darüber an. So wie sie geendigt war, stieg er von der Kanzel herab, und fiel knieend vor dem Altar nieder. Diese Pause wurde von der Musik ausgefüllt."

Haydn sah sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, eine Musik zu komponieren, die „dieser Darstellung angemessen” sein würde. In seiner Schilderung benennt er auch das Hauptproblem:

Die Aufgabe, sieben Adagios, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine der leichtesten.

Schwer vorstellbar, welcher Komponist außer ihm selbst sie dermaßen bravourös gelöst hätte. Die in der Musikgeschichte singuläre Aufeinanderfolge so vieler langsamer Sätze wurde dank der Erfindungsgabe Haydns nicht nur zu einem Beweis für das herausragende Genie dieses Meisters, sondern sogar zu einer seiner meistgespielten Kompositionen, von denen bald neben der für Orchester gesetzten Urfassung eine Version für Streichquartett entstand.
Nicht genug damit, entstand von fremder Hand sogar eine oratorische Fassung für Chor und Orchester, die Haydn nach seiner Rückkehr von seiner ersten London-Reise hörte und die er immerhin zum Anlaß nahm, selbst eine Chorfassung der „Sieben Worte” zu erarbeiten.

↑DA CAPO

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