Joseph Woelfl

1773 - 1812

Konkurrenz erwächst Ludwig van Beethoven in seinen frühen Wiener Jahren von einem Salzburger Pianisten, den viele als Nachfolger Mozarts preisen: In halb Europa liegt man auf den Knien vor den Klavierkünsten des zwei Jahre jüngeren Joseph Johann Baptist Woelffl. Ein sagenhafter Ruf eilt dem Salzburger Musiker voraus, der vermutlich bei Leopold Mozart studiert hat und schon als Siebenjähriger mit einem selbstkomponierten Violinkonzert Furore gemacht hat. Mittlerweile hat Woelffl sich, wie er selbst sagt, sein Clavierspielen sehr vervollkommnet. Als Komponist tritt er geradewegs in die Fußstapfen Mozarts, zumindest, was die Aufführungsorte seiner Werke anlangt. In Prag feiert man ihn. In Wien ist es Zauberflöten-Impresario Schikaneder, der Wölffl engagiert: Im November 1795 gibt es im Theater auf der Wieden, dem Uraufführungsort der Zauberflöte, Wölffls Oper Der Höllenberg, im Jänner 1797 gibt man im Kärntnertor-Theater Das schöne Milchmädchen. Doch schätzen die Zeitgenossen vor allem Woelffls pianistische Künste. Wenzel Tomaschek, selbst bedeutender Virtuose jener Jahre, beschreibt ein Konzert Woelffls, das er 1799 in Prag hören konnte.

Sein durch mehrere Zeitschriften verbreiteter Ruf eines außerordentlichen Klavierspielers machte alle Musikfreunde dieser Stadt auf seine Kunstleistung neugierig ... Das Konzert fand im Theater Statt, wo Zuhörer sich zahlreich versammelten. Wölffl spielte von seiner Composition ein Conzert mit beispielloser Reinheit und Präcision, wie es bei so ungeheuerer Spannung seiner Hände wohl niemand anders herausbringen dürfte ... Zuletzt phantasirte er, worin er das Thema aus dem Sonntagskind: ‚Wenns Lieserl macht‘ eingewebt, und dann beschloß er mit einigen sehr schönen und sehr brillanten Variationen das Conzert. Ein reichlicher Beifall wurde dem in seiner Art einzigen Virtuosen zu Theil. – Ein Klavierspieler, der sechs Fuß in der Länge mißt, dessen Finger, ungeheuer lang, eine Spannung von einer Terzdecime ohne alle Anstrengung ausführen, der noch dazu so mager ist, daß an ihm alles, wie an einer Vogelscheuche, klappert, der mit der unglaublichsten Leichtigkeit, mit einem zwar schwachen, jedoch einem netten Anschlag alle Schwierigkeiten, für andere Klavierspieler Unmöglichkeiten, vollführt, ohne die ruhige Haltung des Körpers dabei zu verlieren, der oft ganze Stellen in mäßig bewegtem Tempo mit einem und demselben Finger, wie in dem Andante der Mozartschen Phantasie die lange in Sechzehnteln fortgehende Stelle im Tenor zu binden weiß – ein solcher Klavierspieler ist wohl einzig in seiner Art zu nennen. Was würden wohl unsere Journalisten über einen solchen Klavierspieler sagen, gegen den alle unsere Pianisten sammt ihrem Gepäck von Etüden und sogenannten Phantasieen Nullen sind, die das Sinnvolle der wahren Kunst nie erkannt, die ihre Bravour nach den possierlichen Sprüngen der Heupferdchen studiren, sich daher zu echten musikalischen Gasconiern heranbilden. Wölffl’s eigenthümliche Virtuosität abgerechnet, hatte sein Spiel weder Licht noch Schatten, es mangelte ihm männliche Kraft ganz und gar, daher es kommen möchte, daß sein Spiel nicht in das Innere des Menschen drang, sondern das. Gymnastische daran zur Bewunderung hinriß. Uebrigens fehlte es ihm bei sonstiger Gutartigkeit an seiner Bildung, sein kindisch humoristisches Wesen hat ihm den Namen eines närrischen Wölffl zugezogen.
Der Korrespondent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung geht auf die vieldiskutierte Konkurrenzverhältnis der beiden Virtuosen ein und sieht eine gewisse Bevorzugung Beethovens.
Ich will mich bemühen, Ihnen das Eigene Beider anzugeben, ohne an jenem Vorrangstreite Theil zu nehmen. Beethovens Spiel ist äußerst brillant, doch weniger delicat, und schlägt zuweilen in das Undeutliche über. Er zeigt sich am allervortheilhaftesten in der freien Phantasie. Und hier ist es wirklich ganz außerordentlich, mit welcher Leichtigkeit und zugleich Festigkeit in der Ideenfolge B. auf der Stelle jedes ihm gegebene Thema nicht etwa in den Figuren variirt (womit mancher Virtuos Glück und – Wind macht), sondern wirklich ausführt. Seit Mozarts Tode, der mir hier noch immer das non plus ultra bleibt, habe ich diese Art des Genusses nirgends in dem Maße gefunden, in welchem sie mir bei B. zu Theil ward. Hierin steht ihm Wölffl nach. Aber Vorzüge vor ihm hat W. darin, daß er, bei gründlicher musikalischer Gelehrsamkeit und wahrer Würde in der Composition, Sätze, welche geradehin unmöglich zu executiren scheinen, mit einer Leichtigkeit, Präcision und Deutlichkeit vorträgt, die in Erstaunen versetzt (freilich kommt ihm dabei die große Struktur seiner Hände sehr zu Statten), und daß sein Vortrag überall so zweckmäßig und besonders auch im Adagio so gefällig und einschmeichelnd, gleich fern von Kahlheit und Überfüllung – ist, daß man nicht blos bewundern, sondern genießen kann ... Daß Wölffl durch sein anspruchloses, gefälliges Betragen über Beethovens etwas hohen Ton noch ein besonderes Uebergewicht erhält – ist sehr natürlich.
Ignaz von Seyfried, einer der Kapellmeister im Theater Emanuel Schikaneders, berichtet über die anatomischen Vorzüge: Wölffl hatte gegen Beethoven riesige Hände. Doch spielen die beiden die »Konkurrenz« nicht allzu heftig aus. Wölffl widmet Beethoven sogar eine Reihe von Klaviersonaten (op. 7). Manchmal findet man sich zum friedlichen »Wettspiel«. Ein legendäres fand im sogenannten „Chaire“-Schlößl am Meidlinger Eingang zum Schloßpark von Schönbrunn (heute: Schönbrunner Straße 309) statt. Das Gebäude steht noch und war Schauplatz eines gemeinsamen Konzerts, bei dem Wölffl und Beethoven vierhändig miteinander musizierte.

Ein Zeitgenosse berichtet, wie emotionell das damalige Publikum auf die Darbietungen reagierte.

An der Spitze von Beethovens Verehrern stand der liebenswürdige Fürst von Lichnowsky; zu Wölffls eifrigsten Protectoren gehörte der vielseitig gebildete Freiherr Raymund von Wetzlar, dessen freundliche Villa (am Grünberge nächst dem kaiserlichen Lustschlosse Schönbrunn) allen fremden und einheimischen Künstlern in den reizenden Sommermonaten mit echt britischer Loyalität eine gleich angenehme als wünschenswerthe Freistätte gewährte. Dort verschaffte der höchst interessante Wettstreit beider Athleten nicht selten der zahlreichen, durchaus gewählten Versammlung einen unbeschreiblichen Kunstgenuß; jeder trug seine jüngsten Geistesproducte vor; bald ließ der eine oder der andere den momentanen Eingebungen seiner glühenden Phantasie freien ungezügelten Lauf; bald setzten sich beide an zwei Pianoforte, improvisirten wechselweise über gegenseitig sich angegebene Themas und schufen also gar manches vierhändige Capriccio, welches, hätte es im Augenblicke der Geburt zu Papier gebracht werden können, sicherlich der Vergänglichkeit getrotzt haben würde. – An mechanischer Geschicklichkeit dürfte es schwer, vielleicht unmöglich gewesen sein, einem der Kämpfer vorzugsweise die Siegespalme zu verleihen: ja, Wölffl’n hatte die gütige Natur noch mütterlicher bedacht, indem sie ihn mit einer Riesenhand ausstattete, die ebenso leicht Decimen, als andere Menschenkinder Octaven spannte, und es ihm möglich machte, fortlaufend doppelgriffige Passagen in den genannten Intervallen mit Blitzesschnelligkeit auszuführen. – Im Phantasiren verleugnete Beethoven schon damals nicht seinen mehr zum unheimlich Düstern sich hinneigenden Charakter; schwelgte er einmal im unermeßlichen Tonreich, dann war er auch entrissen dem Irdischen; der Geist hatte zersprengt alle beengenden Fesseln, abgeschüttelt das Joch der Knechtschaft, und flog siegreich jubelnd empor in lichte Aetherräume; jetzt brauste sein Spiel dahin gleich einem wild schäumenden Cataracte, und der Beschwörer zwang das Instrument mitunter zu einer Kraftäußerung, welcher kaum der stärkste Bau zu gehorchen im Stande war; nun sank er zurück, abgespannt, leise Klagen aushauchend, in Wehmuth zerfließend: – wieder erhob sich die Seele, triumphierend über vorübergehendes Erdenleiden, wendete sich nach oben in andachtsvollen Klängen, und fand beruhigenden Trost am unschuldsvollen Busen der heiligen Natur. – Doch wer vermag zu ergründen des Meeres Tiefe? Es war die geheimnisreiche Sanscritsprache, deren Hieroglyphen nur der Eingeweihte zu lösen ermächtigt ist! – Wölffl hingegen, in Mozarts Schule gebildet, blieb immerdar sich gleich: nie flach, aber stets klar, und eben deswegen der Mehrzahl zugänglicher; die Kunst diente ihm blos als Mittel zum Zwecke, in keinem Falle als Prunk- und Schaustück trockenen Gelehrtthuns; stets wußte er Antheil zu erregen, und diesen unwandelbar an den Reihengang seiner wohlgeordneten Ideen zu bannen. – Wer Hummel’n gehört hat, wird auch verstehen, was damit gesagt sein will.



↑DA CAPO