Violinkonzert

D-Dur op. 61


Beethovens einziges Violinkonzert entstand in der zweiten Hälfte des Jahres 1806, parallel zu den Arbeiten am Vierten Klavierkonzert. Geschrieben war es für jenen Geiger, der am ersten Pult des Orchesters des Theaters an der Wien musizierte, Franz Clement. Beethoven kannte ihn, seit er ein Kind war. Er schätzte Clement, der auch anläßlich der Uraufführung der Eroica das Orchester geleitet hatte. Clement war Solist der Uraufführung des Violinkonzerts am 23. Dezember 1806. Die Proben für dieses Konzert waren mangelhaft gewesen, denn das Stimmen-Material war nicht rechtzeitig ausgeschrieben worden. So geriet die Aufführung problematisch - zum Schaden des Werks, das daraufhin in der Versenkung verschwand. Erst lang nach Beethovens Tod hob der mit Beethoven bekannte französische Geiger Pierre Baillot (1771-1842) das Werk aus den Archiven und sorgte für eine wohl einstudierte Aufführung im März 1842 in Paris. Ein Jahrzehnt später nahm Joseph Joachim den Faden auf. Erst sein Einsatz für Beethovens Violinkonzert brach den Bann. Bald erkannte man die Ausnahmestellung dieser Komposition, die heutzutage automatisch als erste genannt wird, wenn es gilt, die wichtigsten Konzerte der Violinliteratur zu benennen. Von Joseph Joachim stammt auch jene Kadenz zum ersten Satz, die bis heute in aller Regel bei Wiedergaben des Werks verwendet wird.

Allgemein war Beethoven von den Zeitgenossen vor allem als Pianist über alle Maßen geschätzt. Doch spielte er in seinen Bonner Jahren auch Geige, war also mit dem Instrument bestens vertraut. Aus den frühen Jahren hat sich auch das Fragment eines Violinkonzerts in C-Dur (WoO 5) erhalten, das der Komponist allerdings unvollendet liegen ließ. Rekonstruktionsversuche wurden immerhin auf CD aufgenommen.

Das D-Dur-Konzert sieht die Musikforschung in der Linie französischer Kompositionen der Beethoven-Zeit. Nicht zuletzt die stilisierten Marschrhythmen des Kopfsatzes finden sich auch bei französischen Zeitgenossen, die auch gern ihre (meist sehr kuren) langsamen Mittelsätze pausenlos mit dem Finale verbanden, wie Beethoven es tat - wobei beides, die Marschrhythmen und der nahtlose Übergang zum Schlußsatz auch für das Fünfte Klavierkonzert zutreffen.

Parallelen zum gleichzeitig komponierten Vierten Klavierkonzert finden sich im Violinkonzert zuhauf. Vor allem der lyrische Grundton haftet beiden Werken an, obwohl, erstaunlich genug, das Violinkonzert mit einem Paukensolo anhebt; allerdings piano und mit Tonrepetitionen, wie sie auch das Hauptthema des Vierten Klavierkonzerts charakterisieren. Hier allerdings ziehen sich die vier (oder, wenn man sie im thematischen Zusammenhang hören möchte: fünf) Schläge, die dem von den Holzbläsern vorgetragenen melodischen Hauptthema vorangehen, in allen erdenklichen Varianten und Lautstärken signalhaft durch das gesamte »Allegro ma non troppo«:


Und was die Melodie betrifft: Vor allem die rhythmischen Eigenschaften von deren letzten Takten nutzt Beethoven ebenfalls zu mannigfachen Verarbeitungen.
Aus


wird bald das sogenannte »Seitenthema«

Für den Hörer unterscheiden sich hier weniger die sogenannten »Themen« als die einzelnen Motive voneinander, die bereits in den ersten Takten vorgestellt werden. Die Gegensätzlichkeiten von deren unterschiedlichen Varianten treibr die Musik dramaturgisch voran.
Insgesamt wecken in diesem Werk weniger die großen Gesten, sondern eher die behutsamen, oft unmerklichen Veränderungen das Interesse des Hörers. So empfindet man den Mittelsatz als intimen Dialog zwischen dem Solisten und dem Orchester, wo bei namentlich den Bläsern aparte Aufgaben zugewiesen werden. Die Stimmung in diesem Satz wechselt kaum - fast durchwegs wird auch die Grundtonart G-Dur festgehalten. Dafür führt Beethoven ein stimmungsmäßig kaum vom ersten unterschiedenes zweites Thema ein, das er - ebenso wie das erste - behutsam improvisatorisch variiert. In die traumverlorene Stimmung dieses ungewöhnlichen »Variationssatzes« dringt nach vielen filigranen Koloraturen der Solovioline jäh ein beinahe rüde klingendes Orchesterrezitativ - wie ein Weckruf, der den Solisten dazu aufruft, mit einer Kadenz ins Finalrondo überzuleiten.

Auch die tänzerische Bewegung dieses Rondos lebt mehr von feinen Nuancen als von drastischen Akzenten: Subtil gleich zu Beginn die Verwandlung des im tiefen Register der Violine (als eine der wenigen Passagen für die G-Saite) präsentierten Hauptthemas

in eine ausdrücklich »delicatamente« vorzutragende, graziöse Arabeske im Diskant:


Immerhin finden wir im Rondo einen stark kontrastierenden Moll-Abschnitt und eine ungewöhnliche Solokadenz kurz vor Schluß, die den tonalen Bereich mit einem Mal kräftig weitet - bis hin zur vom Grundton entferntesten Tonart As-Dur.

Es war Muzio Clementi, der Beethoven nach langem Zaudern dazu bewegen konnte, das Violinkonzert, das in seiner Originalgestalt zunächst so erfolglos war, für sein eigenes Instrument zu arrangieren. So entstand die Klavierfassung des Werks, der Beethoven vor allem eine höchst ungewöhnliche Kadenz für den ersten Satz mit auf den Weg gab: Sie sieht die Mitwirkung der Pauken vor, was angesichts des markanten Konzertbeginns zwar logisch scheint, aber jedenfalls eine der originellsten Pointen der Musikgeschichte sein dürfte. Der Geiger Gidon Kremer hat knapp zwei Jahrhunderte später den Komponisten Alfred Schnitte gebeten, diese Idee aufzugreifen und auch für die Violinfassung des Konzerts eine Kadenz mit Pauke zu schreiben.




↑DA CAPO