Heiligenstädter Testament


Der Wortlaut des Testaments von 1802 und die Nachschrift.

Für meine Brüder Carl und
Beethoven.

O ihr Menschen die ihr mich für feindseelig störrisch oder misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket nur daß seit 6 jahren ein heilloser zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert, von jahr zu jahr in der Hoffnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels (dessen Heilung vielleicht jahre dauern oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen lebhaften Temperamente gebohren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen, wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen, und doch war's mir noch nicht möglich den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreyt, denn ich bin taub, ach wie wär es möglich daß ich dann die Schwäche eines Sinnes zugeben sollte, der bey mir in einem vollkommeneren Grade als bey andern seyn sollte, einen Sinn den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben noch gehabt haben – o ich kann es nicht, drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabey verkannt werden muß, für mich darf Erholung in menschlicher gesellschaft, feinere unterredungen, wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fordert, darf ich mich in gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Aengstlichkeit indem ich befürchte in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen – so war es denn auch dieses halbe jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, von meinem vernünftigen Arzte aufgefordert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen disposizion entgegen, obschon, vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir stund und von weitem eine flöte hörte und ich nichts hörte oder jemand den hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zustande in den schlechtesten versetzen kann – Geduld – so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen, ich habe es – dauernd hoffe ich soll mein Entschluß seyn auszuharren, bis es den unerbittlichen parzen gefällt, den Faden zu brechen, vielleicht geht's besser, vielleicht nicht, ich bin gefaßt – schon in meinem 28. jahr gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du weist, daß menschenliebe und neigung zum wohlthun drin hausen. O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir Unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen seines Gleichen zu finden, der trotz allen hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden – ihr meine Brüder Carl und sobald ich tod bin und professor Schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bei, damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde – Zugleich erkläre ich euch beyde hier für die Erben des kleinen Vermögens, (wenn man es so nennen kann) von mir, theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander, was ihr mir zuwider gethan, das wißt ihr, war euch schon längst verziehen, dir Bruder Carl danke ich noch ins besondere für deine in dieser leztern spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, daß euch ein besseres sorgenloseres Leben, als mir, werde, empfehlt euren Kindern Tugend, sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung, sie war es die mich selbst im Elende gehoben, ihr danke ich nebst meiner kunst, daß ich durch keinen selbstmord mein Leben endigte – Lebt wohl und liebt euch – allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowski und Professor Schmidt – die Instrumente von Fürst L. wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bey einem von euch, doch entstehe deswegen kein Streit unter euch, sobald sie euch aber zu was nützlicherm dienen können, so verkauft sie nur, wie froh bin ich, wenn ich auch noch unter meinem Grabe euch nützen kann – so wär's geschehen – mit freude eil ich dem Tode entgegen – kommt er früher als ich gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir trotz meinem harten Schicksal doch noch zu frühe kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen – doch auch dann bin ich zufrieden, befreit er mich nicht von einem endlosen leidenden Zustan- de? – komm wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen – Lebt wohl und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen, seyd es –

Heiglnstadt
am 6ten October
1802
Ludwig van Beethoven.



Für meine Brüder

Carl und nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen. –

Heiglnstadt am 10ten Oktober 1802 so nehme ich denn Abschied von dir – und zwar traurig – ja die geliebte Hoffnung – die ich mit hieher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt geheilet zu seyn – sie muß mich nun gänzlich verlassen, wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist – auch sie für mich dürr geworden, fast wie ich hieher kam – gehe ich fort – selbst der hohe Muth – der mich oft in den schönen Sommertägen beseelte – er ist verschwunden – O Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen – so lange schon ist der wahren Freude innigerer Widerhall mir fremd – o wann – o wann o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen – Nie? nein – o es wäre zu hart.



↑DA CAPO